gen Osten,  Georgien

Armenien – Nord (inkl. Jerewan)

5.-7.4.2023

Die Grenze zwischen Georgien und Armenien liegt auf 1600 m Höhe. Da habe ich schon deutlich höhere Pässe überwunden. Doch es ist ja immer die Frage, an welchem Punkt man startet. Heute befinde ich mich auf 400m, also liegen 1200 Höhenmeter vor mir und das bei über 40°C… Ich habe wenig Hunger, mache Pause an Beerensträuchern und an Picknick-Plätzen, an denen ich im Fluss baden kann. Manchmal werde ich zu einer Melone eingeladen. Um halb acht abends ist die Grenze in Sicht, gleichzeitig beginnt es zu regnen. Schon eine Weile habe ich Blitze am Himmel erkennen können, doch erschien das Gewitter noch weit entfernt. Glücklich und erschöpft erreiche ich das Grenzgebäude bevor ich richtig nass werde und zeigt dem Beamten meinen Ausweis. Auf die Frage, wohin ich möchte, antworte ich: in den Iran. Als er daraufhin beginnt meinen Pass zu untersuchen, ahne ich, dass ich damit eventuell etwas Falsches gesagt habe. Er holt eine große Lupe, beleuchtet jede Seite mit Schwarzlicht, geht raus, kommt zurück, schaut mich durchdringend an, lässt mich den Helm abnehmen. Ich lächele und freue mich, dass ich unter einem Dach stehen kann. Schließlich macht er das übliche Foto mit der Kamera, stempelt den Ausweis und wünscht mir einen guten Tag. Erleichtert fahre ich weiter und nehme mir vor, das nächste Mal Yerewan als mein Ziel zu nennen.

Immer wieder finde ich es schwierig an den Grenzen zu erkennen, an welchen der vielen Stationen man anhalten muss und wo man weiter fahren darf. An der ersten Kabine werde ich durchgewunken. Auch in der zweiten winkt der Polizist und sagt „go“. Dachte ich zumindest. Als ich langsam weiter rolle, ruft er lauter. Beim Umdrehen sehr ich, dass er nicht mehr freundlich schaut. Fahrrad abstellen, auch hier wieder eine gründliche Kontrolle. 50m später stehen wieder Menschen in Uniform, also nicke ich ihnen freundlich zu. Wieder anhalten, ich werde zu meinem Gepäck befragt. Die Taschen werden geöffnet und grob durchgeschaut. Nach der dritten Tasche haben sie genug und wünschen mir eine gute Reise – geschafft!

Was ich noch nicht erledigt habe, ist das georgische Geld auszugeben. Es ist nicht mehr viel. Ich frage in dem ersten kleinen Laden und bekomme für das Geld einen Tee und ein paar Kekse. Die Frau spricht türkisch, so dass wir uns nett unterhalten können. Da es wieder anfängt zu regnen lässt sie mich ins Hinterzimmer aufs Sofa. Hier kann ich beim Warten auf das Ende des Regens die Simkarte ausnutzen und endlich meinen neuen Beitrag veröffentlichen. Und dann mache ich mich auf, das neue Land Armenien zu entdecken!

Es begrüßt mich im Dunkeln und mit Regen. Das ist nicht der beste Zeit, in einem Land zu starten. Doch was ich sofort merke und mir sehr wichtig ist, ist der rücksichtsvolle Verkehr. Die Autos überholen mit Abstand. Noch 200 Höhenmeter bergauf, dann lasse ich mich 20 km ins Tal rollen. Es regnet mal weniger mal mehr – zu viel, um ohne Zelt zu schlafen. Im Dunkeln einen Zeltplatz zu finden, ist nicht leicht. In Georgien gab es immer einige Schutzhütten oder Bushaltestellen am Weg. Doch hier sehe ich keine einzige mehr. Erst im nächsten Städtchen gibt es eine, der Unterstand ist verfallen und zugewuchert. Es gibt keine Aufhängung für meine Hängematte, zusätzlich ist sie mir zu nah an der Straße. Also schiebe ich mein Fahrrad wieder heraus und fahre weitere 5km bis zu dem nächsten See, der auf der Karte eingezeichnet ist. Er ist von Seerosen überwuchert und so ganz klar ist mir im Dunkeln nicht, ob ich mich auf einem privaten Grundstück befinde. Doch die Durchfahrt im Zaun ist groß, die Hütte weit entfernt und ihre Fenster dunkel. Die Bäume am Ufer locken mich, denn inzwischen hat es aufgehört zu regnen und die Vorhersage verspricht eine trockene Nacht. Es ist sternenklar. So genieße ich beim Einschlafen den sich spiegelnden Mond im See und auch die Kühe, die langsam heran kommen und neben mir das Gras fressen, können mich nicht stören. Nachts wird es kalt. Pro 100 Meter Höhenunterschied nimmt die Temperatur um bis zu 1 °C ab. Dies merke ich immer mal wieder sehr deutlich.

Am nächsten Tag geht es schnell in das nächstgrößere Städtchen. Dort finde ich eine Simkarte und einen Supermarkt für ein gemütliches Frühstück in der Sonne. Armenien hat ebenfalls ein eigenes Alphabet, ein wenig eckiger als das georgische. Doch im Gegensatz zu Georgien, wo unter der Schrift oft erklärend die lateinischen Buchstaben (in englisch) standen, sind es hier die kyrillischen. Auch sonst wirkt das Land auf mich deutlich russischer als der Nachbarstaat, der sich viel Mühe macht, einen europäischen und modernen Eindruck zu machen. Ein bisschen geht es mir wie bei meiner Ostseeumrundung an der Grenze von Schweden nach Finnland. Dort fand ich den Unterschied der beiden Länger viel größer als ich erwartet hatte.

Weiter geht es die Berge hoch. Jeden Tag überwinde ich hier ein bis zwei Pässe mit 500 bis 700 Höhenmetern. Das geht erstaunlich gut – zwar langsam, aber problemlos. Es ist sehr grün hier. An den Hängen wachsen Bäume, es gibt viel Wasser. Ich stoppe in Dilijan, einem sehr altem Kurort, von dem ich vorher schon gehört hatte. Er liegt in einem Nationalpark und hat auch jetzt noch einen ganz eigenen Charme. Die Gegend wird „armenische Schweiz“ genannt, es gibt Touristen-Informationen mit Verleih von Outdoorausrüstung, eine eigene WanderApp, Kunstläden in der Altstadt und viel Gastronomie. Ein beliebtes Fotomotiv ist eine Gruppe von Figuren aus dem preisgekrönten Film „Mimino“ (1977). In der Altstadt, speziell dem Kloster stehen viele Chatschkare. Diese Kreuzsteine stellen eines der zentralen kulturellen Symbole der Armenier dar. Sie sind kunstvoll behauen mit einem Reliefkreuz in der Mitte, das von geometrischen und pflanzlichen Motiven umgeben ist. Die ältesten Exemplare stammen aus dem 9. Jahrhundert, der Höhepunkt der Herstellung lag im 12./13. Jahrhundert. Seit 2010 sind sie von der UNESCO in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.

Noch ein letzter großer Pass, der oben durch den Dilijan-Sevan-Tunnel abgekürzt wird. Auch wenn ich Tunnel überhaupt nicht mag, nehme ich diesen dankbar an, um mir die letzten Hohenmeter zu sparen. Auf der anderen Seite stehe ich in den Wolken, Nieselregen und Nebel um mich herum, eine willkomme Abwechslung von der Hitze. Nach einigen Kilometern bergab stehen rechts und links auf einmal viele Autos, an der Straße, auf Parkplätzen, Menschenmassen laufen umher. Was ist denn hier los? Das sieht aus wie kurz hinter einer Grenze, wo die Dutyfree-Shops und Wechselstuben das Publikum anziehen. Doch was gibt es hier? Das muss ich erkunden! Als ich das Gebäude betrete, erspähe ich hinter einem Menschenpulk mehrere Verkaufstände mit Brot. Die mit Feuer beheizten Steintonnen-Öfen stehen hier mitten im Laden herum. Im Minutentakt werden die Brote an die Innenwände geklatscht und fertige wieder herausgeholt. Im Hintergrund steht eine Fließbandstrecke, auf dem das dünnste Fladenbrot „Lawash“ pausenlos heranrollt. Auf einer Steinplatte mit Schlitzen wird es in DinA4 große Blätter geteilt. Das System der vielen Schlangen an den Kassen ist mir nicht ersichtlich, so dass ich erst einmal in den Supermarkt gehe. Ich finde dort Salat, Mangold und weitere leckere grüne Blätter, deren Namen ich nicht kenne. Außerdem kann ich endlich wieder meinen Vorrat an Tahin auffüllen. Das Sesammus schmeckt mir morgens und abends, im Müsli, auf Brot und im warmen Essen. Dazu ist es ein guter Energielieferant – und Energie, die brauche ich. Deshalb hält das Glas auch selten länger als einige Tage und hier in Armenien habe ich bisher noch keines gefunden.

Als ich wieder heraus komme, sehe ich eine Gruppe von Radfahrer:innen, mehr oder weniger sportlich gekleidet. Ich erfahre, dass die meisten aus dem Radclub von Yerewan kommen, der aus einer Umwelt-Protestbewegung gegen verschiedene große Bau- und Industrieprojekte entstanden ist. Inzwischen begeben sie sich regelmäßig auf Ausflüge mit dem Fahrrad. Die meisten sind mit dem Zug zum Lake Sevan hinauf gefahren, doch einige starteten morgens mit ihrem Fahrrad aus der Hauptstadt. Heute Abend werden sie 220 km mit diversen Höhenmetern hinter sich haben. Angela, die inzwischen in Amerika wohnt, hilft mir drinnen Brot zu kaufen. Ich bekomme ein armenisches Kachapuri, das anders als das georgische aus Blätterteig gebacken wird, und dazu einen weiteren dünnen, mit vielen Kräutern gefüllten Fladen. Vahe gibt mir seine Telefonnummer, falls ich in Yerewan Hilfe gebrauche, danach fahren sie in die Hauptstadt und ich zum Sewansee.

Der „Lake Sevan“ ist mit 1272 km² Fläche, 78 km Länge und 56 km an der breitesten Stelle doppelt so groß wie der Bodensee und nicht nur der größte Süßwassersee Armeniens sondern auch des gesamten Kaukasus. Er wurde ab 1936 für groß angelegte Bewässerungsprogramme ausgebeutet, da die enorme Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Armenischen SSR extensive Maßnahmen erforderte. Dadurch und durch die Nutzung des Wassers zur Elektroenergieerzeugung mit einer Wasserkraftwerkskaskade im Ablauffluss, sank der Pegel des Sees bis 1988 um 22 m, daraufhin drohte der See aus dem ökologischen Gleichgewicht zu geraten. Deshalb wurde ein knapp 50 km langer Tunnel gebaut, durch den Wasser aus einem Stausee in den Sewan umgeleitet wurde. Da abzusehen war, dass das zuzuleitende Wasser den Pegel des Sees zwar stabilisieren, doch nicht nennenswert anheben würde, wurde ein weiterer Tunnel gebaut, was sich aber durch den Bergkarabachkonflikt und Finanzierungsproblemen über 20 Jahre hinzog.

Die Hauptsehenswürdigkeit neben dem See an sich ist hier das Kloster Sewanawank, das 874 auf der bis dahin unbewohnten Sewaninsel erbaut wurde. Das Kloster liegt durch den stark reduzierten Wasserpegel inzwischen auf einer Halbinsel, war über Jahrhunderte ein Wallfahrtsort und bestand als solcher bis 1930, als die letzten Mönche während der Stalinzeit den Ort verlassen mussten.

Nach der Besteigung des Klosterberges und der Besichtigung suche ich nach einem einsamen Strandabschnitt. Dies ist gar nicht leicht, da sowohl das Gästehaus der Union der Schriftsteller Armeniens als auch die Sommerresidenz des Präsidenten von Armenien weiträumig abgesperrt sind. Der Rest des Ufers ist mit Picknickplätzen bewirtschaftet. Auf einem von ihnen spreche ich den Besitzer an und darf in einem der Pavillons bleiben. Sein Dach bietet willkommenen Schutz vor dem Gewitter, das in der Nacht stürmt.

Am nächsten Morgen scheint wieder die Sonne, ein schnelles Bad und dann fahre ich einem Tipp von Vahe folgend eine geschlängelte Straße abseits des Schnellwegs nach Yerewan. Neu asphaltiert führt sie entlang eines Canyons durch eine faszinierende Landschaft. Ich finde eine Mineralwasserquelle zum Trinken und Duschen und später dank eines russischen Ehepaares, welches am Straßenrand steht und fotografiert, einen riesigen Felsbogen, den die Natur hier hinterlassen hat. Später noch einige weitere Klöster und wiederum viele Obstbäume. Wieder einmal so eine Strecke, in der ich eigentlich bergab bremsen möchte, um die Ausblicke länger zu genießen zu können.

In Yerevan finde ich in der Nähe der Botschaft ein verlassenes Baugrundstück. Ich schlafe direkt an der Klippe mit perfekter Aussicht über die Stadt. Die Terrasse, die ich mir zum Kochen ausgesucht habe, ist leider auch sehr windexponiert. Als die Böen zunehmen, muss ich gut aufpassen, dass nichts von meinen Dingen den Abhang hinunter geweht wird. Als ich fast fertig bin, komm Raphael vorbei. Er lebt im Schrebergarten nebenan und hat mich auf seiner Überwachungskamera gesehen. Ich spreche sehr wenig russisch und er weder deutsch noch englisch. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, lädt er mich mehrfach ein bei ihm zu übernachten. Ich lehne dankend ab und als er nicht aufhört, auf mich einzureden, werde auch ich deutlicher: „Я не хочу!“ (ja nje chashuh = ich möchte nicht!) Irgendwann zuckt er mit den Schultern und geht. Ein wenig später kommt er mit einer großen Plastiktüte voller Essen zurück: Brot, Tomaten, Gurken, Obst, ein Eiscafe aus dem Kühlschrank und seiner Telefonnummer auf einem Zettel. Ich bedanke mich herzlich. Nun bin ich recht sicher, dass mir vor ihm keine Gefahr droht. Etwas später bringt er mir 5 Liter Wasser und ein Hotel-Fläschchen mit Shampoo. Wenn ich nicht zur Dusche kommen will, bringt er die Dusche halt zu mir. Trotz des Sturms schlafe ich gut zwischen den Betonstreben des Rohbaus in meiner Hängematte. Morgens kommt Raphael mit einem frisch gekochten armenischen Mokka und zwei Porzellantassen an. Nun ist auch der Rest meiner Skepsis verflogen. Als ich später meine Sachen gepackt habe, fahre ich bei ihm vorbei und bringe ihm die Tasse und den leeren Wasserkanister zurück. Ich bekomme einen zweiten Kaffee und frage ihn, ob ich in der Zeit, in der ich bei der Botschaft bin, hier ein wenig Wäsche waschen kann, wer weiß, wann ich solch eine Gelegenheit wieder finde.

Für die Botschaft habe ich mich extra ordentlich angezogen. Mein Kleid, ein langes Shirt und Buff reichen aber nicht, ich bekomme vom Pförtner zwei Tücher, eines für die Haare und eines zum Umbinden, weil mein Rock nicht lang genug ist. Damit werde ich dann schnell bedient und bekomme den Auftrag die Visagebühr von 50€ in einer Bank einzuzahlen. Diese liegt nicht sehr weit weg, doch Yerewan ist hügelig. Ich fahre also 250 Höhenmeter hinunter, bezahle das Geld und fahre dann bei 40°C wieder hinauf. Beim langsamen Kurbeln an der Steigung fällt mir ein, dass ich zumindest hätte fragen können, ob ich das Gepäck oben lassen kann. Zu spät… So nehme ich es als willkommenes Training und komme etwas später an. Vor mir steht nun Dai in der kurzen Schlange, ein Radfahrer aus Spanien, der eine ähnliche Route wie ich vor sich hat. Erfreut tauschen wir Nummern aus, mal sehen ob wir uns auf der Straße wieder sehen werden.

Dann fahre ich zurück zu Rafael, um meine Wäsche und die geladene Powerbank abzuholen. Er hatte sich anscheinend vorgenommen mit mir zum Sevansee zu fahren, das Auto steht schon mit einer Picknick-Tasche bereit. Ich lehne ab – mit einem schlechten Gewissen, schließlich hat er so viel für mich gemacht. Doch ich habe absolut keine Lust zweimal 2 Stunden mit ihm im Auto zu sitzen und zu einem See zu fahren, an dem ich gestern bereits war. Er schaut enttäuscht und ich denke noch längere Zeit über die Situation nach. Ein Geschenk anzunehmen bedeutet auch immer etwas, eine Art Handel. Schwierig wird es, wenn vorher die Bedingungen nicht klar sind. Die Grenze zwischen Gastfreundschaft annehmen und ausnutzen ist fließend, dessen bin ich mir als Reisende bewusst. Ich hoffe, dass ich auf der richtigen Seite bleibe…

Yerewan ist mit ca. 2800 Jahren eine der ältesten Städte der Welt. Viele der historischen Baudenkmäler wie Kirchen, Moscheen, die persische Festung, Bäder, Bazare und Karawansereien wurden in der Sowjetzeit zerstört. Dennoch gibt es genug zu entdecken. Z.B. das „Cascade Memorial to the Victims of Soviet Repression“ oder kurz „die Kaskade“, den Opfern von Morden und Deportationen aus der Sowjetzeit gewidmet, deren Bau Ende der 1980er Jahre begann und um 2008 fertiggestellt wurde. Eindrucksvoll überbrückt sie 120 Höhenmeter innerhalb der Stadt. Die fünf Plattformen mit Hallen für Ausstellungen sind über 572 Stufen zu erreichen. Oben befindet sich ein Obelisk, der an das 50-jährige Bestehen sowjetisches Armeniens erinnert.

Ich fahre hinunter in die Stadt, hier findet zur Zeit ein JugendFestival statt, so dass es viel zu sehen und zu hören gibt. Abends treffe ich mich mit Vahe. Er hat als Fahrradfahrer einen ganz besonderen Blick auf die Stadt, unsere rasante Fahrt durch das nächtliche Jerewan mit all seinen beleuchteten Gebäuden, Plätzen, Fontänen und Wasserspielen wird mir lange in Erinnerung bleiben. Eigentlich wollte ich heute schon weiterfahren, Großstädte finde ich anstrengend und lasse sie gerne hinter mir. Doch mit einer persönlichen Begleitung nehme ich gerne die Möglichkeit wahr, in das armenische Leben hier in Yerewan einzutauchen.

Vahe hat in seiner FahrradFacebookGruppe herum gefragt, wer mich über Nacht aufnehmen könnte. Dass ich schließlich bei Karin lande, ist wieder eines der großen Geschenke meiner Reise. Die Schauspielerin wohnt in der Wohnung mit ihrer Schwester und deren Kindern zusammen. So lerne ich abends auch drei ihrer Nichten kennen. Lucy, 13 Jahre alt, mit einer ausgeprägten körperlichen Behinderung, spricht am besten Englisch. Doch auch mit Karin sind die Gespräche schnell sehr tief und persönlich. Ihr wurde als Kind das Fahrradfahren von ihren Eltern verboten, da es zu gefährlich sei. Vor einigen Jahren hat sie es sich dann selber beigebracht. Anlässlich ihrer Krebserkrankung fasste sie den Entschluss, auf nichts mehr verzichten zu wollen. Seitdem ist Fahrradfahren für sie der Inbegriff von Freiheit! Bis heute ist das Leuchten in ihren Augen zu sehen, wenn sie davon spricht, wie sie sich auf dem Rad fühlt. Wir reden über Zirkus und Theater, tauschen uns über unsere Arbeit mit Kindern aus. Karin wird bald mit ihrer Theatergruppe auf Tournee nach Las Vegas gehen. Ich teile ihre Vorfreude sehr!

Am nächsten Morgen frage ich, was hier in der Nähe ein Haarschnitt kosten würde. Seit einigen Wochen ist mir klar, dass ich mir irgendwo einen Friseur suchen muss. Auf einmal geht alles ganz schnell: Karin und ihre Schwester sagen, sie hätten eine Freundin, die ins Haus kommt und rufen auch schon an. 20 Minuten später ist sie da, ich zeige ihr ein altes Foto von mir und weitere 20 Minuten später sind meine Haare ab. 1000 armenische Drachmen darf ich ihr dafür geben, umgerechnet ca. 2,50 €. Nun bin ich bereit für weitere Monate unterwegs!

Seit gestern vermisse ich ein Kabel zum Aufladen der Powerbank, nachmittags im Park hatte ich es noch. Als ich abends mit Vahe dorthin fuhr, war mein Platz inzwischen mitten im Konzertgelände des Festivals. Es war dunkel und so richtig wusste ich auch nicht, wo ich es gelassen haben konnte, deshalb war die kurze Suche vergeblich. Heute fahre ich noch einmal dorthin, um in Ruhe zu schauen. Alle Technik ist inzwischen abgebaut. Ich überlege, ob es wohl ein Fundbüro auf dem Festival gibt. Im Grad liegt es nicht, also setze ich mich in der Sonne auf die Bank, auf der ich auch gestern war. Als ich hinunter schaue, blitzt jetzt etwas im Staub: mein Kabel! Da wo gestern noch eine Pfütze von den Besprenklungsanlagen war, liegt es heute halb in der Erde verdeckt. Ich kann es gar nicht glauben! Nun kann ich mich wirklich beruhigt aus der Stadt verabschieden und finde nach zwei Stunden Fahrt in den Abend einen schönen Platz zwischen zwei Aprikosenbäumen. Ich esse mein letztes Lavash. Dieses armenische Fladenbrot kann man perfekt mit allem möglichen füllen und aufrollen. Heute die Reste aus dem Restaurant, Tomaten und – ganz wichtig – Tahin. Später am Abend kommt der Besitzer der Plantage vorbei, ähnliche wie Rafael versucht er mir deutlich zu machen, dass ich hier wegen der Hunde nicht schlafen könne. Ich verstehe zu wenig und möchte nicht mit ihm mitgehen. Irgendwann gibt auch er auf, kommt jedoch nachts noch einmal zur Kontrolle vorbei und bringt mir morgens zwei Dolden leckere Weintrauben. Es ist wirklich schade und verkompliziert die Reise, dass ich nicht mit den Leuten reden kann. Ich finde Russisch gar nicht so schwer, also werde ich zumindest die Wochen in Armenien noch fleißig weiter üben.

Irgendwann diese Tage waren dann auch die 7000km voll. Wahnsinn!

4 Kommentare

  • Helena Kiesewetter

    Liebe Anke….wieder ein toller Monatsbericht…
    Exotische Länder, für uns jedenfalls.
    Am meisten liebe ich die kurzen Infos über deine spontanen Zusammentreffen
    mit „Einheimischen“!
    Schöne Zeit
    Helena

  • Richard

    Hallo Anke,
    Ich bewundere nach wie vor Deine positive Ausstrahlung die Du auf Deiner Reise gegenüber den vielen Menschen enzgenbringst.
    Ein Glücklichsein verbreitet bei einer Begegnung mit anderen stets mehr Aufgeschlossenheit und Zuneigung.
    Das kann man in der Fremde gut gebrauchen.
    Fast auf allen Bildern lächelst Du charmant. Das ist gut.
    Viele liebe Grüße
    Richard

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