gen Osten,  Balkan

Die Donau in Serbien -West inkl. Belgrad

5.-6.4.2023

Bei der letzten langen Pause vor der Grenze habe ich den WiFi-Hotspot ausgenutzt, um den Beitrag über Budapest zu beenden. Ich komme kaum hinterher mit dem Posten, so schnell wechsele ich die Länder, entdecke ich Neues, was ich mir merken möchte. Der Blog erfreut viele von euch, das weiß ich durch die zahlreichen Kommentare und sonstigen Nachrichten, die mich erreichen. Vor allem aber schreibe ich für mich. Jeden Tag, jede Woche, wirken so viele Eindrücke auf mich ein, dass ich sie unmöglich alle behalten kann. In diesem öffentlichen (und in meinem kleinen privaten) Tagebuch schreibe ich möglichst viel auf, um in Erinnerung zu behalten, was ich hier erlebe, was ich lerne, was mich bewegt. Deshalb investiere ich die Zeit gerne.

Neben der Arbeit an meiner Homepage checke ich die E-Mails und bekomme eine Nachricht aus Belgrad. Milutin schreibt: er ist sich zwar nicht sicher, ob er mich beherbergen kann, aber hat gute Tipps für meine Fahrt durch Serbien. Sehr wichtig: Serbien gehört nicht zum Roaming-Gebiet von meinem Mobilfunk-Anbieter. Das bedeutet, dass ich es vermeiden sollte, hier das mobile Netz zu nutzen. Sehr schnell sind sonst hohe Kosten entstanden. Mir war das vorher nicht klar! Auch beim Telefonat mit meinem Anbieter sagte mir der Berater, dass erst in der Türkei der Vertrag nicht mehr gelten würde. Nun werde ich zum ersten Mal probieren, wie das mit einer landesinternen SIM-Card funktioniert. Ich bin gespannt! 

Vorerst entscheide ich mich aber, direkt nach einem kleinen Grenzübergang – an dem zum ersten Mal mein Pass kontrolliert wird! – durch den Nationalpark Fruška Góra zu fahren. Wenn ich den Thüringer Wald noch ausgelassen habe, können mich hier Höhen und Kälte nicht schrecken!

Ich bereue es nicht! Eine schmale Asphaltstraße führt direkt auf dem Kamm der Hügelkette entlang. Bis zu 550 m hoch reichen die Kuppen. Ein ganz anderes Fahrgefühl: ich bin alleine, kann die ganze Fahrbahnbreite ausnutzen. Links und rechts verschneite Wälder und ab und zu ungewohnt weite Ausblicke. Ca. jede Stunde kommt ein Auto vorbei, die Insassen winken mir freundlich zu. Ich genieße es sehr, trotz der Höhenmeter und des Schnees, der am Fahrbahnrand in die Höhe wächst. Die Alternative wären 90 km Bundesstraße gewesen. Für mich keine Alternative 😊

Nach dem ersten Drittel bin ich dann ganz alleine. Die Straße ist streckenweise neu asphaltiert, zum Teil auch noch alt mit Schlaglöchern, immer aber mit dem Zweirad gut befahrbar. Für die Nacht finde ich ein schneefreies Plätzchen auf einem der vielen Picknickplätze. Absolute Stille!!


Am nächsten Morgen begrüßt mich blauer Himmel. Die Sonne strahlt durch die Bäume, der Schnee glitzert. Ich mache mich früh auf. In den schattigen Kursen ist noch Glatteis auf der Straße, so dass ich die ersten Steigungen lieber hochschiebe und die Abfahrten nur vorsichtig hinunterrolle. Kilometer über Kilometer bin ich voller Entzücken und genieße diese ganz andere Landschaft.

Fruška Gora ist berühmt für seine 17 mittelalterlichen Klöster. Dieses Gebirge wurde zum Ort der serbischen Renaissance, als unter dem Druck der türkischen Eroberung der Sitz des christlichen Lebens nach Norden in das damalige Österreich-Ungarn verlegt wurde. Die Kloster wurden im einzigartigen Stil des serbischen Barocks erbaut, in dem regionale Bauart mit westeuropäischen Einflüssen kombiniert wurde. Zwei davon schaue ich mir an, bin beeindruckt von der Bemalung der Kapellen. Sie sind noch bewohnt, ein Mönch in alt-orthodoxer Kleidung wischt gerade den Boden des Souvenirraums, draußen werden Schafe gehütet.

Mittags bin ich am Ende des Nationalparks angelangt. Kilometerlang lasse ich mich abwärts rollen, Richtung Belgrad. In einer der Vorstädte stehen Menschen zu lauter Musik auf dem Bürgersteig, ich werde eingeladen zu Rakija, Kuchen und Börek: Ein Kaffee-Bus wird hier promotet. Dragan, der neue Chef, bittet mich immer wieder zu bleiben und zu essen, da nehme ich doch gerne an! Denn Hunger habe ich zur Zeit ständig. Unter den Gästen sind auch Miroslav aus Salzburg mit seinem Freund, zwei Serben auf Heimatbesuch.

Seit zwei Tagen bin ich nun ohne Handy- und Daten-Empfang. Das entspannt mich (und auch der Akku hält auf einmal viel länger). Ich denke, dass sollte ich öfters mal einplanen oder zumindest dankbar in Kauf nehmen, wenn es sich ergibt.

Ansonsten erinnert mich Serbien an frühere Besuche in Rumänien oder der Türkei. An den Einfall- und Ausfallstraßen reihen sich schicke und einfache Geschäftsgebäude aneinander, dazwischen Brachland. Keine Bürgersteige, aber viele freilaufende Hunde. Durch meine Routenwahl via NP verpasse ich Novi Sad, die zweitgrößte Stadt in Serbien. Man kann nicht alles haben…


Nach weiteren Kilometer an der Hauptstraße und dann einigen am Flussufer erreiche ich zusammen mit der Donau erst Novi Beograd, neudesigned im kommunistischen Brutalismus-Stil, und dann Belgrad, serbisch Beograd, „die weiße Stadt“, mit knapp 1,4 Millionen Einwohnern drittgrößte Stadt an der Donau und mit ihrer etwa 7000 Jahre zurückreichenden Besiedlung einer der ältesten ständig bewohnten Orte an ihren Ufern und auch Europas. Nach den Kelten kamen die Römer, dann Hunnen, Goten, Awaren und schließlich Slawen, die 878 n.Chr. den Namen Belgrad gaben. Danach Ungarn und dann Serben, für die es ab 1403 Hauptstadt war. Nach der Zeit der Türken Hauptstadt im Königreich Serbien, später auch Jugoslawiens, Kommunistische Herrschaft von Tito, Jugoslawienkrieg, seit 2001 Demokratie. Eine bewegte Vergangenheit!

Für mich ist es eher eine schwarze Stadt, nicht nur durch die Dämmerung, in der ich einfahre, sondern vor allem durch die vielen durch Abgase geschwärzten Gebäude. Sie liegt mit ihrer Vorzeigeseite, der Festung und dem Park Kalemegdan (=Kampffeld), eher an der Save. Wegen ihrer zentralen Lage in der Großregion des Balkanraums und der verkehrsgünstigen Position wurde die Burg in der Geschichte stark umkämpft und häufig als „Tor zum Balkan“ bezeichnet.

Für Sultan Mehmed II. zB. waren Belgrad und der Abschluss der Eroberung Serbiens die Voraussetzung zum Griff nach Mitteleuropa. Am 4. Juli 1456 führte er die erste große Belagerungen Belgrads an. Die christlichen Verteidiger konnten diesen Angriff der neuen osmanischen Weltmacht erfolgreich abwehren und den im Kampf verwundeten Sultan und das osmanische Heer in panikartiger Flucht vertreiben. Nach dem Sieg, der nach damaliger Ansicht das Schicksal der Christen entschied, ordnete Papst Kalixt III. das Mittagsläuten an, das bis heute in allen Kirchen der Welt ertönt.

Erst unter Süleyman I. konnte Belgrad 1521 eingenommen werden. Der Verlust der Schlüsselfestung war verantwortlich für den folgenden Verlust Ungarns sowie die Ausweitung des osmanischen Reiches über Buda hinaus bis vor die Tore Wiens.

In der Burg befindet sich heute einer der ältesten Zoos Europas, 1936 gegründet sind hier 2000 Tiere untergebracht. Der Tiergarten wird auch „Garten der guten Hoffnung“ genannt. Aufgrund der geringen Größe seiner Gehege denke ich, dass vielen Tieren hier die Hoffnung vergangen ist…

Milutin ist noch in der Stadt und will mich ab abends aufnehmen. Ich rolle lange durch die dunklen Straßen. Die Lichter gehen an, doch außer an der Burg entsteht nicht so wirklich touristische Stimmung, ganz anders als in Budapest. Um 21 Uhr heißt mich Milutin zusammen mit seiner Katze willkommen. Auch er ist begeisterter Fahrradfahrer, der am nächsten Tag zu seinem ersten Brevet über 300 km starten will. In seiner kleinen gemütlichen 1-Zimmer-Wohnung teilen wir eine Suppe und Brot und reden lange über den Krieg, das Verhältnis zwischen Kroaten und Serbien, Politik, Einfluss der Medien und vieles andere. Am nächsten Morgen geht er zur Arbeit und lässt mich an seinem Computer einiges an meiner Homepage richten, insbesondere die Karten überarbeite ich hier. Viele Langzeit-Radreisende nehmen inzwischen einen Laptop mit. Auch ich habe darüber nachgedacht, mich doch bewusst dagegen entschieden. Zu viel Gewicht, zu viel Verantwortung. Vieles kann ich gut an dem Handy erledigen und ich denke, dass ich immer wieder Gelegenheiten wie diese finden werde, um an einem größeren Bildschirm zu arbeiten.

Nach einem VideoTelefonat mit meinen Eltern starte ich gegen Mittag wieder in die Stadt. Dank der Navigation mit dem Handy kann ich mich ganz auf den Verkehr und die Eindrücke konzentrieren. Zwei weiteren Sehenswürdigkeiten statte ich einen kleinen Besuch ab: Nikola Tesla ist serbigstämmig im heutigen Kroatien geboren. Hier in Belgrad wurde sein Museum 1952 zum Andenken an den Erfinder und Elektrotechniker gegründet. In ihm befindet sich seine Urne sowieso ein Archiv mit unzähligen Originaldokumenten, Exponaten, Fotografien und Zeichnungen.

Die Kathedrale des Heiligen Sava, ist die größte Kirche Süd-Europas und eines der größten orthodoxen Gotteshäuser der Welt. Die Kirche ist dem ersten serbischen Erzbischof und Nationalheiligen Serbiens dem heiligen Sava (1175-1236) geweiht. Obwohl die Bauvorbereitungen bereits 1894 begonnen haben, ist der Bau bist heute nicht ganz fertig gestellt.

Ich besorge mir eine serbische SIMKarte, die es hier an jedem Kiosk gibt und fahre durch die Fußgängerzone „Knez Mihailova“ und das Skadarlija-Viertel, bekannt für seine Künstler und Cafés, nach Norden zur Pančevo-Brücke, bis 2014 die einzige Brücke der Stadt, die die Donau überquert, und mich nun auf einer – wir würden sagen – Autobahn weiterführt.

Lange denke ich über die Stadt noch nach. Was macht den Unterschied aus zu Budapest oder Wien? Ist es die lange Zeit im Kommunismus, war es das Wetter oder einfach zu viele Städte in kurzer Zeit? So richtig warm bin ich jedenfalls mit ihr nicht geworden.

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