Georgien/Türkei – zum Ararat!
6.-11.7.2023
Heute Morgen genießen wir das letzte Frühstück gemeinsam, noch einmal Buffet, noch einmal Steckdose, noch einmal duschen. Meine Eltern fahren mit Auto und Guide David nach Lagodechi und ich mache mich auf zur Fahrradwerkstatt. Es ist noch einiges zu tun, doch schließlich sind die Ritzel vorne und hinten samt Kette getauscht und die neuen Mäntel aufgezogen. Der Mechaniker rät, auch das Tretlager in den nächsten 1000km zu überholen und die Bremsflüssigkeit nachzufüllen. Mhh, in 1000km bin ich so ziemlich im Nirgendwo des Iran. Also wäre es eigentlich besser, dies jetzt zu erledigen. Mal schauen, wie lange ich bleibe, ob dafür noch Zeit ist. Inzwischen ist es nachmittags. Ich fahre zurück zum Hotel, um meine Sachen zu holen. Mir fällt es schwer, auf mein Reiseleben umzuschalten. Ich will meine Visa organisieren und gleichzeitig die Weiterfahrt. „Wann kann bzw muss ich mein Iran-Visum in Yerewan abholen? Wie geht es mit dem China-Visum in Tiflis weiter? Habe ich Zeit genug zwischendurch, um auf den Ararat zu steigen? Wenn ja, wie komme ich dorthin?“ Ich habe noch keine Idee, wo ich heute Nacht schlafen will. Auf der Karte sieht es rings um Tiflis sehr grün aus, auch wenn ich mich umschauen, ist alles grün, doch eben auch sehr steil. Tiflis liegt umgeben von Berghängen in einem Flusstal. Ich habe einige Warmshowerhosts angeschrieben, doch das erst heute Morgen. Roman antwortet, dass er heute schon drei Gäste hat, ich aber morgen bei ihm schlafen könnte. Sonja und Joni stehen mit ihrem Campervan auf einem Parkplatz hinter der großen Kathedrale. Da sei es zwar nicht unbedingt schön, aber sie können sich vorstellen, dass auch ich mit meiner Hängematte hier noch einen Platz finde. Also treffe ich mich beruhigt mit ihnen in der Stadt zum Essen. Wir haben uns seit Anfang Mai nicht mehr getroffen, so gibt es viele Erlebnisse aus Türkei und Georgien austauschen. Abends fahre ich mit dem Fahrrad hoch zur Kathedrale, ein wundervoller Ausblick über das nächtliche Tiflis erwartet mich. Der Platz – ja, der ist wirklich nicht sehr romantisch, doch umso herzlicher werde ich in einer Gruppe aus dem Iran begrüßt. Mehrere Familien stehen hier gemeinsam und verbringen ihre Ferien in Caravans. Ich werde zum Tee eingeladen und setze mich zu ihnen nachdem ich meine Hängematte aufgehängt habe. Hoch erfreut bin ich, als ich feststelle, dass es stimmt, was mir erzählt würde: Im Iran versteht man wirklich türkisch! So ist die Freude beiderseits groß. Als ich mich verabschieden will, sagt Sara, dass sie um Mitternacht Geburtstag hat und es Kuchen gibt. Also bleibe ich noch ein wenig und genieße den Abend mit Tanz und viel Gelächter.
Am nächsten Morgen frühstücke ich gemeinsam mit Sonja und Joni. Schon vormittags ist es so heiß, dass wir uns im Schatten verkriechen. Als ich um elf los möchte, um meinen Host zu treffen, finde ich meinen Helm nicht. Ich habe keine Idee, wann ich ihn zuletzt getragen hatte. Recht sicher bin ich nur, dass er auf der Fahrt vom Hotel zum Restaurant noch bei mir war. Vorstellen, dass ich so lange ohne Helm gefahren bin, ohne es zu bemerken, kann ich nicht, doch es gibt keinerlei Erinnerung, ob ich ihn gestern Abend abgesetzt habe oder nicht. Ich suche alle Ecken ab und fahre dann doch erfolglos los um Roman nicht länger warten zu lassen. Es ist heiß, das Display spiegelt in der Sonne. Ich versuche dem Weg durch die schmalen Gassen zu folgen, da fährt mir ein Auto aus einer Hauseinfahrt vor das Rad. Ich habe es nicht gesehen, der Fahrer mich auch nicht. Wir beide bremsen, so dass der Aufprall glimpflich verläuft. Trotzdem stürze ich, eine der vorderen Taschen fällt ab, das Schutzblech ist verbogen. Mein erster Unfall – und das ohne Helm! Ich bin unsicher, wie ich weiter verfahren soll. Soll ich bleiben? Meine Adresse hinterlassen? Nach der Telefonnummer des Fahrers fragen? Die Autos haben nahezu keine Schäden. Mein Fahrrad scheint heile. Ich selber werde wohl mit blauen Flecken davon kommen. Ich fahre also weiter und erreiche den Treffpunkt mit Roman. Er gibt mir den Schlüssel für seine Wohnung, da er selber erst abends nach Haus kommt. Da die Wohnung etwas außerhalb liegt, mache ich mich erst einmal auf die Suche nach dem Helm im Restaurant. Die Bedienung ist sehr freundlich, fragt und schaut überall nach, doch der Helm ist hier nicht gefunden worden. Ich hinterlege meine Nummer, falls er noch auftauchen sollte und setze mich an einen der noch leeren Außentische und überlege, wie es weitergeht. Mein Fahrrad zieht Blicke auf sich. Ein deutsche Pärchen spricht mich an, sie fahren auch mit dem Rad. Nach Osten haben sie die Fähre über das Schwarze Meer genommen und fahren nun über die Türkei zurück. Es gibt viel zu erzählen, Tipps für die Route werden ausgetauscht, Fotos gezeigt. Als ich meine Bilder von der SchwarzMeerKüste zeige, ist die Überraschung groß: Die beiden kennen Steve, haben einige Tage mit ihm in Batumi verbracht, da er auf Ersatzteile für sein Faltrad wartet! Als ich vom Verlust meines Helms erzähle, trösten sie mich, es gäbe schlechtere Orte, um einen neuen Helm zu besorgen. Da haben sie recht! Doch ich hänge an ihm und außerdem würde ich meinen Rückspiegel vermissen, der daran montiert ist. Um also alle Möglichkeiten auszuschließen, fahre ich ins Hotel. Kurz nachdem ich mich aufgemacht habe, kracht es laut: ein schenkeldicker Ast fällt aus dem Baum, direkt auf mein Rücken, 20 cm hinter meinen ungeschützten Kopf. Das gibt’s doch nicht! Ich überlege schon, wie mein neuer Helm aussehen soll. Ohne fahre ich auf keinen Fall! Ich dachte immer, dass man vor herabfallenden Ästen und umstürzenden Bäumen durch ein Knacken gewarnt wird. Doch hier war das erste Geräusch, das ich hörte, als der Ast auf meinem Rückrat zerbarst. Wie gut, dass ich so viele Schutzengel mitgegeben bekommen habe! Ich fahre weiter ins Hotel. Auch hier ist der Helm nicht gefunden worden. Wie gesagt, hätte mich das auch verwundert. Also mache ich mich auf den Weg zum Schlafplatz, um dort noch einmal alles in Ruhe abzusuchen und die Leute zu befragen. Es ist heiß, ich habe nur eine Flasche Wasser mitgenommen, die nun leer ist. In dem Moment, als ich überlege, wo ich sie auffüllen kann, fällt mir ein, dass ich auch gestern kurz vor der Kathedrale Flaschen aufgefüllt habe, um Wasser für die Nacht zu haben. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass ich dabei den Helm vergessen haben soll, doch sicher ist sicher. Ich frage im Schnellimbiss nach. Die Bedienung an der Kasse erkennt mich wieder, lächelt und holt meinen Helm aus dem Hinterzimmer. Was für ein Glück! Die alte Regel, alle Wege noch einmal abzugehen, wenn man etwas sucht, hat sich mal wieder bewährt.
Bei Roman nutze ich die Zeit natürlich zum Wäsche waschen, vor allen Dingen aber um meinen VisumsAntrag für China auf den Weg zu bringen. Einige Stunden sortiere ich die Unterlagen, beantworte Fragen über meinen Bildungsstand und meine bisherigen Arbeitgeber in dem Online-Formular, lade Passfotos hoch und versuche meinen erfundenen Reiseplan auswendig zu lernen. Als alles fertig ist und ich alles abschicken möchte, streikt mein Internet: die Simkarte ist abgelaufen. Also mache ich mich mit dem Fahrrad auf den Weg durch das Wohnviertel und finde nach einer Weile den entsprechenden Magtishop. Ohne Internet geht das auch! Man fragt einfach die Leute auf der Straße. Auch ohne Georgisch- und Englischkenntnisse verstehen wir uns ausreichend. Noch im Laden drücke ich auf die Taste zum Absenden des Formulars und bin erleichtert, als ich die Bestätigungsmail erhalte.
Am nächsten Morgen geht es dann endlich los zurück Richtung Türkei. Ich habe mich entschieden, die Wartezeit für das Visum zu nutzen und den Ararat zu besteigen. Die Eindrücke der letzten Wochen haben den Funken gezündet! Ich habe schon erste Kontakte zu Bergführern aufgenommen und über die WhatsApp-Gruppe mit Menschen gesprochen, die den Gipfel schon erreicht haben. Roman begleitet mich die ersten Kilometer hinaus aus Tbilisi. Es ist steil, es ist heiß! Bei über 40° über 1000 Höhenmeter hinaufzufahren war vielleicht nicht die beste Idee, zumindest nicht um die Mittagszeit. Zum ersten Mal erlebe ich wirkliche Anzeichen von Hitzeproblemen. Bis zum Ararat sind es 550 km. Ich habe mich entschlossen, den Hinweg mit motorisierter Unterstützung hinter mich zu bringen, auf keinen Fall will ich es riskieren, den Termin für mein Visum in der Botschaft zu verpassen. Auf dem Rückweg kann ich dann flexibler sein und weiß, wie viel Zeit ich mir noch lassen kann. Als ein Bus kurz vor mir an einer Haltestelle hält, spreche ich den Fahrer spontan an, ob er mich mitnimmt. Kein Problem hier in Georgien! Die Fahrgäste fassen mit an und schnell ist mein Fahrrad hineingeschoben. Er fährt zwar nicht sehr weit, doch einige Kilometer und vor allem Höhenmeter erspart mir die Fahrt doch. Ich werde später noch von einem georgischen Pastor, der mit seiner Frau die Kinder in einem Feriencamp besucht, und einem armenischen Musiker mitgenommen. Die Nacht verbringe ich wegen eines Gewitters in einem verlassenen Haus. Dank meiner Hängematte schlafe ich gemütlich über dem Bauschutt, der auf dem Boden liegt.
Am nächsten Tag endet mein Weg über die Nebenstraßen an einem Fluss. Die alte Brücke existiert nicht mehr, die neue ist noch im Bau und der Fluss ist nun wirklich zu breit, um ihn ohne Brücke zu überqueren. Kein Schild wies auf diesen Umstand hin… Als mir die Bauarbeiter geduldig die Umleitung erklären, schaue ich wahrscheinlich etwas frustriert aufgrund des circa 25 km langen Umwegs. Da weist einer von ihnen auf seinen LKW und gibt mir zu verstehen, dass er eh dort entlang fahren würde. Wir legen das Fahrrad auf den Auflieger und ich entschließe mich auf dieser Fahrt, den weiteren Tag doch auf größeren Straßen zu verbringen.
Ich hatte geplant, an der Grenze zur Türkei einen Kleinlaster ansprechen zu können, ob er mich in die nächstgrößere Stadt mitnimmt. Doch an dieser kleinen Grenze gibt es überhaupt keine Autos – ich bin alleine! Dafür gibt es einen wunderbaren See, an dessen Ufer ich ins nächste Dorf fahre. Inzwischen ist es dunkel, einen Strand finde ich hier nicht. Bei der Suche nach einem geeigneten Schlafplatz werde ich von zwei Mädchen angesprochen, woher ich komme und ob ich nicht bei ihnen übernachten möchte.
Dankbar lasse ich mich mitnehmen, die beiden Cousinen haben eine eigene Etage in dem Wohnhaus des Bauernhofes, die sie mit ihrer Großmutter bewohnen. Sie geben mir eines ihrer Schlafzimmer, wir teilen ihren frischgebackenen Börek sowie meinen Proviant und verbringen einen lustigen Abend miteinander. Die ältere der beiden studiert schon und verbringt zurzeit ihre Ferien hier.
Am nächsten Tag fahre ich die restlichen Kilometer in der Türkei, zum Teil selber, zum Teil in Autos. Ich hatte überlegt, die ganze Strecke ohne Fahrrad – per Bus oder Anhalter – zurückzulegen. Doch so bin ich viel flexibler: Geht es bergab und ist die Strecke schön, fahre ich mit dem Rad. Wenn es sich anbietet, lass ich mich mitnehmen. Die letzte Etappe fahre ich mit Ali Rıza, er ist Rentner, fährt aber noch jede Woche eine große Runde, um Brötchen für Burger King in die Filialen zu bringen. Eine Auslieferung unterwegs machen wir gemeinsam, dann bin ich angekommen in Doğubayazıt, der Stadt am Fuße des Ararat. Die knapp 600 km habe ich in drei Tagen zurückgelegt. Das Mitgenommenwerden war problemlos, nie musste ich länger als einige Minuten auf einen Lift warten, immer habe ich mich sicher gefühlt. Die Fahrer waren ausgesprochen freundlich, hilfsbereit und kommunikativ. Mir ging das Ganze eigentlich zu schnell, auf dem Weg gab es so viel zu entdecken, so dass ich mich schon auf die Rückfahrt freue, auf der ich mir etwas mehr Zeit lassen möchte.
Mit dem Fahrrad fahre ich zu Cumas Haus, der mir ab morgen die Tour auf den Gipfel organisiert hat. Von seiner Dachterrasse kann ich den schneebedeckten Vulkangipfel bewundern.
4 Kommentare
Jörg
Hallo Anke, es ist wieder mal schön, von dir über einen Teil deiner Reise zu lesen. Wenn ich das so tue, muss ich immer an die Definition von Abenteuer denken: man muss das Scheitern einkalkulieren. Und dennoch irgendwie und irgendwo ankommen. Es ist auch schön und macht Mut, zu lesen, wie viele freundliche und hilfsbereite Menschen es unterwegs gibt. Das war auch immer meine Erfahrung. Ich freue mich für dich und wünsche dir weiterhin eine gute Reise. Gruß, Jörg.
Papa
Wir haben oft überlegt, wie Du zum Ararat gekommen bist.
Jetzt wissen wir’s und sind umso gespannter auf die Besteigung und die Rückkehr nach Tiflis.
Weiter alles Gute, Papa
Michael Weisker
Sehr schöne abenteuerliche Eindrücke, viel Spaß weiterhin (und gut auf Lord Helmchen aufpassen😉)
Erika Ellner
Hallo liebe Anke,
einfach grandios deine Erzählungen. Es macht uns immer wieder große Freude von dir zu hören. Leider bist du anscheinend jetzt im „Niemandsland“ und seit einer Woche nicht mehr online. Wir erwarten sehnsüchtig deinen nächsten Bericht.
Liebe Grüße von Erika&Michael aus Bamberg