gen Osten,  Georgien

Georgien – wandern

21.6.-5.7.2023

Nun also endlich Georgien – Georgia, Gürcistan, 🇬🇪! Wir sind alle glücklich, dass das Treffen so problemlos geklappt hat. Mein Fahrrad kommt in den Hinterhof, ich beziehe mein Hotelzimmer. Es ist wunderbar, so viel Platz zu haben. Ich kann alles auspacken, sortieren, überlegen, was ich mit nach Hause gebe. Meine Radsachen gebe ich in die Wäscherei, so dass sie für die Wanderungen ab übermorgen wieder bereit sind.

Batumi ist eine sehr moderne Stadt, mit gut 170.000 Einwohner:innen die zweitgrößte in Georgien. Hier liegt auch der Haupthafen des Landes, insbesondere Erdöl aus Aserbaidschan wird nahe dem Hafen raffiniert und von hier verschifft. Seit dem die Autonomie Adschariens seit 2004 stark eingeschränkt wurde hat Batumi internationale Investoren angezogen. Firmen aus Kasachstan, Aserbaidschan, Russland und der Türkei errichteten neue Hotelkomplexe. Die Immobilienpreise in der Stadt haben sich seither mehr als verdreifacht. Die Hochhäuser bestehen aus Glas und Stahl, die Strandpromenade ist auf Touristen ausgerichtet. Hier gibt es auf einmal wieder joggende Menschen, etwas was ich seit Wochen nicht gesehen habe. Dies fällt mir erst jetzt auf, als ich sie auf einmal wieder sehe. Wir besichtigen den weitläufigen botanischen Garten, der im Norden der Stadt am Grünen Kap, einer hohen Klippe, liegt. Die Terrassenanlage an der Steilküste bietet spektakuläre Ausblicke über die Bucht von Batumi. Auch in der Stadt führt Giorgi uns herum und erläutert ihre Sehenswürdigkeiten. Seit 2007 steht auf dem Freiheitsplatz die Medea-Statue mit dem goldenen Vlies, bekannt aus der griechischen Mythologie. Der Hintergrund dieses Mythos ist real: im goldreichen Kolchis, dem im Westen gelegenen Gebiet am Kaukasus, wurden Schaffelle verwendet, um Goldstaub aus den Flüssen zu waschen. Nachmittags probieren wir das typische Khatchapuri Acharuli, bei dem in einem Brotschiffchen Käse, Spiegelei und Butter schwimmen. Ich kann essen ohne Ende! Nach den Monaten auf dem Fahrrad tut das reichhaltige Essen gut. Später gibt es ein großen Familientreffen: während wir noch beim Kaffee im Innenhof sitzen, stoßen sowohl die vier Tandemfahrer:innen als auch Steve zu uns: meine Fahrrad-Familie der letzten Tage. Ich freue mich sehr, die fünf wiederzusehen und ihnen meine Eltern vorstellen zu können. Und meine Eltern freuen sich sehr, die Menschen zu treffen, von denen ich ihnen erzählt habe.

Am nächsten Tag brechen wir auf, das Fahrrad wird ohne Vorderrad hinten in das Auto geschoben, dann geht es über Poti in die Berge Swanetiens. Diese Region im Norden Georgiens ist eines der begehrtesten Reiseziele des Landes und vor allem bekannt für seine weitgehend unberührte Gebirgslandschaft und die besondere Architektur seiner Bergdörfer, wie zum Beispiel Ushguli, das von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde, insbesondere die Wehrtürme. Hier sind die Gipfel bis zu 5200 m hoch, schneebedeckt geben sie uns die nächsten Tage ein wunderbares Panorama. Auf der Fahrt sehr ich Schweine am Straßenrand und auch jetzt wird mir erst bewusst, ähnlich wie bei den joggern, dass ich die ganzen Wochen in der Türkei kein Weltkulturerbe gesehen habe. Die Hauptstadt der Region, Mestia, wurde zwischen 2009 und 2012 zu großen Teilen modernisiert. Dabei wurden viele der ursprünglichen Häuser abgerissen und durch neue Häuser im schweizerischen Chalet-Stil ersetzt. Alles ist auf den Wandertourismus ausgelegt, es gibt viele Gasthäuser, Restaurants und einige Outdoor-Läden. Wir wohnen bei Tamara und ihrem deutschen Mann Ralf. Die Beiden leben hier seit sechs Jahren und haben sich inzwischen ein zweites Haus als Guesthouse sehr passend, liebe- und geschmackvoll ausgebaut.

Am ersten Tag begeben wir uns auf eine Tageswanderung zum Shdugra-Wasserfall. Ich bin sehr beeindruckt, wie gut und vor allem trittsicher meine Eltern die steilen Kletterpassagen meistern. Es ist wirklich ein Geschenk, dass wir diese Reise hier so zusammen erleben dürfen!

Am nächsten Tag starten wir dann zum Vier-Tages-Treck Richtung Ushguli. Diese Wanderung ist sehr bekannt, die Wege sind gut ausgeschildert und außerdem haben wir ja auch unseren Guide Giorgi bei uns. Wir treffen andere Wandergruppen aus Polen, England und Russland, doch meistens sind wir alleine und genießen die herrliche Landschaft. Die Nächte verbringen wir in kleinen Dörfern. Die Unterkünfte hier sind Familienbetriebe, in den historischen Häusern werden wenige Zimmer für die Wanderer bereitgestellt. Für eine Berghütte haben sie jedoch ein sehr hohes Niveau, meistens gibt es sogar ein eigenes Bad. In einem Dorf ist der Strom ausgefallen, Giorgi erzählt, dass dies hier häufiger vorkommt. Manchmal sind die Netze überlastet, so dass die Leitung zusammenbricht. Unser Abendessen wird auf dem Holzfeuer-Ofen gekocht, wir essen beim Licht unserer Stirnlampen. Das größte Problem ist, dass wir unsere Handys – und damit Kameras! – nicht für den nächsten Tag aufladen können. Am nächsten Tag regnet es, so dass wir die Etappe über den höchsten Pass überspringen. Schade, doch können wir das Wetter in der Höhe nicht einschätzen. Für mich (und auch für meine Eltern) ist es auch mal sehr schön, die Entscheidung hierfür an Giorgi abgeben zu können. Später laufen wir dann die letzte Etappe durch Blumenwiesen an einem Berghang nach Ushguli, eines der höchstgelegenen ganzjährig bewohnten Dörfer Europas (2200m).

Am kommenden Tag laufen wir zum Shchara-Gletscher. Hier entspringt am Fuße des höchsten Berges Georgiens der Enguri, der nach 200 Kilometern ins Schwarze Meer mündet. Einen spannenden Einblick in die Kultur der Gegend gibt uns später der Film „Dede“, den wir abends auf dem Dachboden des Dorfgemeinschaftshauses anschauen. Die Regisseurin stammt aus Ushguli, ebenso sind die meisten der Schauspieler:innen Swanen. Der Film ist auf Swanetisch gedreht und mit englischen Untertiteln versehen. Auch mit dieser Hilfe ist nicht einfach die Handlung zu verstehen. (Dina lebt in einem abgelegenen Dorf hoch in den georgischen Bergen, in dem die Traditionen seit Jahrhunderten gleich geblieben sind. Ihre Ehe ist arrangiert, aber als der gutaussehende Gegi aus dem Krieg zurückkehrt, verliebt sie sich in ihn und sie brennen durch. Vier Jahre später lebt Dina entfremdet von ihrer Familie, aber glücklich mit Gegi und ihrem Kind Moses zusammen. Dann kommt Gegi auf tragische Weise ums Leben. In der traditionellen Swanetien-Kultur muss eine Witwe den ersten Mann heiraten, der um ihre Hand anhält, und als Girshel ihr einen Heiratsantrag macht, ist Dina gezwungen, ihr Zuhause und ihren kleinen Jungen zurückzulassen. Als Moses jedoch todkrank wird, kämpft sich Girshel durch den tückischen Winterschnee, um die lebensrettende Medizin zu bekommen. Am Ende widersetzt sich Dina zusammen mit Girshel der jahrelangen Tradition und nimmt ihr Kind mit zurück nach Ushguli.) Der Film erhielt auf einigen Festivals Preise, in Georgien selber jedoch wurde er nicht in den Kinos gezeigt.

Den nächsten Tag steigen mein Vater und ich auf den Hausberg, meine Mutter kümmert sich darum Schwanetisches Salz zu besorgen. Diese lokale Spezialität möchte ich gerne mit auf die weitere Reise nehmen und auch als Mitbringsel von meinen Eltern eignet es sich gut. Heute gehen wir zum ersten Mal über 3000 m hoch. Oben gibt es Schnee und ebenso Hunde, die sich drauf spezialisiert haben, das Pausenbrot der Wanderer zu stibitzen. Wir finden auch einen Geocash unter den Steinen der Gipfelnarkierung versteckt.
Ich folge dem Grat noch einige Kilometer weiter, bis ich den Gletscher von gestern weit unter mir sehen kann. Diese Wanderung macht wirklich Lust auf mehr und ich beginne von der Ersteigung des Ararat zu träumen …

Abends schauen wir uns das kleine Dorfmuseum in einem originalen Haus aus dem 16. Jahrhundert an. Sehr liebevoll sind hier Einrichtung und Werkzeuge zusammen getragen worden. Der Enkel der Familie, die hier noch bis in die 70ger Jahre gelebt hat, weiß zu jedem Stück eine Geschichte zu erzählen.

Die Weiterfahrt nach Kutaisi war über den Zagari-Pass geplant. In der Tour-Beschreibung stand „abenteuerliche Offroad-Fahrt. Ich musste schmunzeln und wir waren uns sicher, dass sich die Reiseagentur damit gegen Beschwerden wegen zu schlechter Straße absichern möchte. Bis morgen war unklar, ob der Pass passierbar ist. Die Guides tauschen sich aus ob jemand letztens aus der Gegenrichtung passiert ist und verabreden sich dann, die Strecke gemeinsam zu bewältigen. Wie gut das war, sollte sich später erweisen. Das Problem des Passes ist weniger die schlechte Straße an sich, sondern mehr, dass sich oben am Pass auf der Ebene große Schlammpflützen bilden. Diese werden wiederum von den Autos aufgewühlt, so dass irgendwann kein Durchkommen mehr ist. Unser Bus schafft die Strecke ohne Probleme. Doch hinter uns steckt das Auto fest. Also wird umgekehrt um es herauszuziehen. Hier hilft man sich, na klar! Als wir gerade weiter wollen, blinkt es wieder von hinten: Das nächste Auto steckt! Auch das wird herausgeholt. Wir scherzen schon, dass wir jetzt schnell los müssen, da wir sonst den ganzen Tag hier zu tun hätten. Die weitere Abfahrt ist wunderschön, hier hätte man sich auch gut mit dem Fahrrad rollen lassen können. Abends erreichen wir Kutaisi und lassen unseren Stadtspaziergang in einem kleinen Restaurant über dem Fluss mit Livemusik ausklingen. Hier probieren wir auch endlich Kingali, die berühmten Ravioli Georgios.

Und dann sehe ich das erste Mal Tbilisi (Tiflis). Die Millionenstadt liegt in einem engen Tal am Fluss, unser Hotel liegt direkt in der Altstadt. Ich nutze den Ruhetag, um mich um mein Fahrrad zu kümmern. Giorgi empfahl mir einen Fahrradladen, dessen Werkstatt ich benutzen kann. Ganz einfach ist der Umbau der Ritzel nicht, da bei dem vorderen die Schrauben fest sind und das hintere in Istanbul nicht richtig eingebaut wurde. Gemeinsam mit dem Fahrradmechaniker beschließe ich, dass ich das Rad hier lasse und nach den zwei Tagen in Stepanzminda wieder abhole. Für die Rückfahrt ins Hotel bekomme ich ein Mountainbike geliehen und staune wie schnell man mit dem leichten Rad voran kommt. Abends gehen meine Mutter und ich in eines der berühmten Schwefelbäder. Eigentlich suchen wir das ursprüngliche, öffentliche. Doch da es schon so spät ist, bekommen wir eine luxuriöse Privatkabine. Nach heißen Bad und Schrubb-Massage sind wir nun wieder richtig sauber und erholt.

Wir folgen der alten georgischen Heerstraße nach Norden Richtung der russischen Grenze bis in die Stadt Stepanzminda („Sankt Stephan“), die nach dem ersten christlichen Märtyrer Stephanus benannt ist. Auch hier haben wir wieder eine sehr schöne Unterkunft etwas außerhalb des Städtchens. Wir machen eine Wanderung zum Kloster (Gergetis Sameba – Gergetier Dreifaltigkeitskirche). Diese Tage begleitet uns David, auch er spricht perfektes Deutsch und hat sehr viel Wissen bezüglich der Geschichte und Kultur Georgies für uns bereit.

Eine weitere Wanderung machen wir zu einem wunderschönen Bergsee, auf der wir einen großen Schreck bekommen, als mein Vater an einem steilen Bergpfad von einem entgegenkommenden Pferd über die 2 Meter hohe Kante geschubst wurde. Zum Glück konnte er sich gut abrollen und hat außer einigen Schürfwunden keine Verletzung erlitten. Wir waren alle empört, dass der Führer der Pferde sich noch nicht einmal gekümmert hat und mein Vater ärgert sich bis heute, dass er die Regel, immer am Hang zu gehen, wenn Tiere entgegenkommen, nicht beachtet hat.

Die dritte Wanderung führt uns nach der Fahrt zur Grenze zu einem Wasserfall. Auch hier sind wir begeistert von den Blicken und Wegen.

Am dritten Tag geht es zurück nach Tiflis. Wir genießen an unserem letzten gemeinsamen Abend eine Bootstour auf dem Fluss. Was für eine ereignisreiche Zeit! Dankbar für die geteilten Erlebnisse und Gedanken freuen sich meine Eltern nun auf noch einige Tage in Lagodechi und ich mich auf meine Weiterfahrt mit dem Fahrrad!

3 Kommentare

  • Claudia Bruschke

    Unbeschreiblich schöne Fotos und Erinnerungen. Und ja, ein absolutes Geschenk, das mit deinen Eltern teilen to können!!!
    Das macht sehr viel Lust auf Georgien 🤗

  • Angela Wiese

    Liebe Anke, ich bin ganz begeistert von deinen wunderbaren Reiseberichten und Bildern. Und freue mich immerwieder auf Neuigkeiten von dir! Was für wunderbare, intensive Tage du jetzt mit deinen Eltern verbringen konntest. Ihr seid echt toll 🙂 Hab‘ eine gute, glückliche und vor allem sichere Weiterreise! Toi, toi, toi
    Viele, und wie immer begeisterte Grüße, Angela

  • Michael Weisker

    Das ist ein sehr schönes Land und es ist schön, dass du bis auf eine unliebsame Begegnung die Zeit mit deinen Eltern genießen konntest

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