gen Osten,  Iran

Iran – Kaspisches Meer

Gegen den Wind kämpfe ich mich vor bis an die Kante, an der sich die Straße vom Hochplateau hinunter ans Meer schlängelt. Die Aussicht von dort ist beeindruckend, die Abfahrt rasant. Ich komme im Dunkeln am Meer an. Kein einsamer Strand, wie ich ihn liebe, stattdessen Parkplätze, Essenstände, ein Betonweg und viele Urlauber – Männer, Frauen, Teenies, Kinder, Familien. Wenn es keine einsamen Plätze zum Schlafen gibt, suche ich den Kontakt, gehe auf die Menschen zu. Am Ende der Strandpromenade stehen mehrere der einfachen Wurfzelte, die ich schon häufig im Iran gesehen habe. Ich spreche die Familie vor dem letzten in der Reihe an, ob ich dort schlafen könne. Hier im Norden vom Iran kann ich mich mit meinem kleinen Türkisch noch gut verständigen. Sie antworten mit Nein. Ich stutze, irgendetwas an der Antwort kommt mir komisch vor. Als ich nachfrage und auf meine eigene Schlafausrüstung zeige, stellt sich heraus, dass sie dachten, ich wolle bei ihnen im Zelt schlafen. Dies ist mit der Großfamilie schon überbelegt und somit war ihre Skepsis verständlich. Die Familie ist sehr interessiert, insbesondere die Frauen und Söhne. Ich baue mein Innenzelt auf, gehe im Meer schwimmen auch um den Schweiß des Tages abzuwaschen, danach essen wir gemeinsam Abendbrot.

Nachts wache ich auf als auf einmal ein Mensch neben meinem Zelt steht und von oben durch das Meshgewebe fragt, wie es mir im Iran gefällt. So ist das auf Strandpromenaden. Lächelnd drehe ich mich um und schlafe weiter, manchmal ist es sinnvoll nicht ganz ohne Zelt zu schlafen. Für mein Morgenbad gehe ich in Unterhose und Top ins Meer. Viele Menschen gehen in kompletter Kleidung ins Wasser. Man merkt, dass hier ein Urlaubsort ist, einige jüngere Frauen laufen ohne Kopftuch herum, die Stimmung ist sehr gelöst. Zum Frühstücken werde ich wieder zu meiner Familie gewunken. Es gibt Lavash, das allgegenwärtige Luftbläschen-Brot, etwas weichen, weißen Käse, Weintrauben und natürlich Tee. Ich bin dankbar über diesen Anschluss für die Nacht, schenke ihnen eine Tüte von meinem schwarzen Tee, die Kinder freuen sich über meine Visitenkarten, und mache mich dann auf entlang der Küste. Hier erlebe ich zum ersten Mal Hitze mit hoher Luftfeuchtigkeit, die ganz anders ist als die trockene Hitze der bisherigen Länder. Bringt sie mich zum Schwitzen oder ist es Kondenswasser? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall klebt alles. Nun verstehe ich, dass die Menschen vorher die Gegend hier „Dschungel“ genannt haben. Grüne Baumhänge bedecken die Bergketten, dazwischen steigt Nebel auf. Die Siedlungen gehen ineinander über, man erkennt die Zentren an den Verkaufsständen an der Straße und an den Bodenwellen, die hier die Geschwindigkeit auf der Hauptstraße reduzieren. Auf den Straßen gibt es genau drei Autofarben: weiße PKW, gelbe Taxen und blaue Kleintransporter mit verschiedenen Aufbauten.

Das Reisen im Iran ist wirklich speziell. Innerhalb von zwei Stunden habe ich Einladungen in drei Städten zum Übernachten, acht neue Follower auf Instagram, ein frisch gebackenes Fladenbrot, das mir während der Fahrt vom Motorrad gereicht wird, dazu Äpfel, Melonen und Feigen geschenkt bekommen. Meine Hand ist fast ununterbrochen in der Luft zum Winken und Grüßen und während ich diesen Text in mein Handy diktiere, nimmt es neben meinen Worten auch das „Hello!“ und „Welcome to Iran!“, das mir zugerufen wird, sowie mein „Salam!“ als Erwiderung mit auf.

Heute Abend beschließe ich wieder einmal, den Rat eines Einheimischen zu ignorieren: In einer kleinen Stadt spricht mich Hussein an. Er bittet mich, sein Gast zu sein. Als ich freundlich ablehne und erkläre, dass es mein Plan wäre, zum Strand zu fahren und dort zu schlafen, empfiehlt er mir einen einige Kilometer weiter entfernt liegenden. Dieser sei schöner und sicherer, es gäbe dort viele Menschen und Polizei. Das sind nun nicht die Dinge, nach denen ich bei einer Suche nach dem Schlafplatz Ausschau halte. Der nähere Strand sieht auf der Karte viel einsamer aus. Außerdem wird es bereits dunkel, so dass ich mich entschließe, dorthin zu fahren. Es wird bestimmt auch an ihm eine Familie im Zelt geben, an deren Seite ich die Nacht verbringen kann. Die kleine Straße schlängelt sich durch sieben bis zehn Dörfer, nach dem Tag an der großen Straße tut das richtig gut. Und dann erreiche ich den Strand: weicher Sand soweit das Auge reicht! In großen Abständen stehen Autos darauf, Menschen genießen die kühle Abendluft. Als eines der Picknickpodeste frei wird, schiebe ich schnell mein Fahrrad hin. Das sieht super aus! Doch zu früh gefreut: ein Mann fährt im Auto über den Strand, hält und frag nach Dollar. Sollte das hier doch ein Campingplatz sein? Kurz danach hält ein weiterer Mann. Dieser will zwar kein Geld, doch beide sagen, ich könne hier nicht schlafen, sonst würden sie von der Polizei verhaftet werden. Ich solle ihnen folgen. Ich würde lieber bleiben, doch mein Beteuern bleibt erfolglos. Also schiebe ich mein Rad wieder zurück zu der kleinen Bude, davor steht ein Podest mit einem Teppich inklusive Sonnendach. Der Mann geht zum geschlossenen Kiosk, holt Chips, Brot und eine Fanta heraus, später kommt er mit einer Melone und einem Messer, beides ein Geschenk für mich. Er lässt seine Telefonnummer da, sagt, wenn irgendwer käme, soll ich ihn anrufen, er wäre der Inhaber von der Anlage. Ich gehe schwimmen und habe dann eine relativ ruhige Nacht, denn Autos und Musik zählen hier nicht als Lärm. Morgens um sechs geht die Sonne auf und ich bin ganz alleine. Den Morgen verbringe ich mit Baden, Kaffee kochen und Frühstücken, dann starte ich in den Tag. Heute ist es weniger feucht, circa 30° heiß, die Wolken geben den blauen Himmel frei.

Mittags werde ich wieder einmal von der Straße weg gefischt. Anfangs war ich noch vorsichtig, wenn sich Motorräder näherten. Wurde mir doch erzählt, dass sie manchmal Fahrradfahrer:innen auf den Hintern schlagen. Doch auch dieses Mal fahren die beiden jungen Fahrer friedlich neben mir und fragen neugierig nach meiner Reise. Sie sprechen sehr gut türkisch und wirken informiert, so benutze ich die Gelegenheit sie nach der Gegend und Streckenvarianten zu befragen. Bereitwillig geben sie mir Auskunft. Dabei wird deutlich, dass sie, wie ich, die Natur lieben. Der eine schimpft über Teheran, dort sei es so voll und dreckig, selbst nach Deutschland würde er nur für einige Wochen kommen wollen, um zu schauen, ob es dort so ist, wie es im Fernsehen gezeigt wird. Dann hätte er Sehnsucht nach seinem Iran. Ich kann es verstehen: hier ist es wirklich wunderbar! Auf der einen Seite die Berge mit dichtem Dschungel, auf der anderen Seite das Meer mit Kilometern von Sandstrand. Ehe ich mich versehe, werde ich schon wieder zum Essen eingeladen und folge dem Mofa. Eine gute Gelegenheit mich einmal ohne Stativ filmen zu lassen! Wenige Kilometer außerhalb der Stadt empfängt mich eine fröhliche Familie mit mindestens drei Generationen, alle sind freundlich und interessiert, Es gibt Reis mit Pflaumen, ein Gericht, das typisch für diese Gegend ist. Nach dem Essen werde ich eingeladen, mich hinzulegen. Im Nebenzimmer wird eine Matte aus dem Schrank geholt und auf den Teppich gelegt. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt: im Iran wird auf dem Boden gegessen und geschlafen. Man spart auf diese Weise eine Menge Möbel, die Räume sind oft riesig und so flexibel nutzbar. Als ich wieder aufwache, bin ich alleine im Haus und suche die Toilette. Hier drinnen gibt es keine weitere Tür, also schaue ich hinaus in den Garten. Aus einem Gebäude schauen zwei Kühe, in einem anderen sind Heuballen gelagert. Schließlich kann ich mich der Großmutter, die noch hier ist, verständlich machen und bekomme den Weg zum Bad gezeigt. Dies ist einfach, aber wie auch der Rest des Hauses sehr sauber.

Ich fahre weiter die Küste entlang. Aus irgendeinem Grund erinnert mich die Landschaft an Thailand. Es wird viel Reis angebaut, die Gegend gehört zu den feuchtesten im Iran. In der nächsten Stadt will ich meine Simkarte mit neuem Guthaben aufladen. Auf die Frage „Iran Cell?“ werde ich freundlich in die richtige Richtung gewunken. Je weiter ich komme, desto genauer werden die Entfernungsangaben: „500 m“, „100 m“, „gleich um die Ecke“, dann finde ich das gelbe Schild. Der Mitarbeiter spricht zwar kein Englisch, doch nach kürzester Zeit habe ich neue 10 GB Guthaben auf meiner Karte. Eine englische SMS teilt mit, das alles richtig ist. Ich zahle dafür 410.000 Rial, das ist weniger als 1 Euro. Froh über diesen schnellen Erfolg gönne ich mir draußen ein Eis. Auf einmal werde ich auf Deutsch angesprochen. „Wo kommst du denn her?“ ruft es aus dem kleinen Laden. Pouri hat acht Jahre in Stuttgart gelebt und gearbeitet. Geflüchtet zu Fuß über die Türkei und Griechenland hat er es nach Jahren geschafft, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Als er in den Iran zurückgekehrt ist, um seine Frau zu heiraten, haben sie ihm den iranischen Pass abgenommen. Seitdem sucht er verzweifelt nach einer Möglichkeit nach Deutschland zurückzukehren. Es ist schon spät am Nachmittag. Da wir uns gerne noch weiter unterhalten würden, bringt er mich für die Nacht bei seiner Mutter unter, dort wohnt auch sein jüngerer Bruder. Zum Abendessen kommt Pouri mit seiner Frau vorbei. Ich versuche mit ihm etwas bei den verschiedenen Ämtern zu erreichen. Es ist wirklich nicht leicht, die richtigen Ansprechpartner und das richtige Kontaktformular zu finden, in einem Monat läuft seine Aufenthaltsgenehmigung ab, ich bin mir sicher, dass dies seine Chance nicht verbessern wird. Wenn er schon nicht zurückkehren darf, hofft er wenigstens auf seine Beiträge in die Rentenkasse, um sich hier im Iran eine Existenz aufzubauen. Ich werde aus Deutschland versuchen, ihm dabei zu helfen.

Die nächsten beiden Nächte verbringe ich wieder an weiten Sandstränden am Kaspischen Meer. Nach durchradelten Tagen auf den heißen Straßen treffe ich abends freundliche Familien, die hier zum Picknicken und Spielen vorbeikommen, nachts spanne ich meine Hängematte zwischen den Pfosten einer Plattform auf. An einem Morgen entdecke ich, dass meine Luftpumpe fehlt. Die kleine, schöne aus Deutschland, die ich immer an der Rahmenhalterung befestigt hatte. Eigentlich kann sie durch einen Klettverschluss nicht herausfallen. Auf den Fotos sehe ich, dass sie vor zwei Nächten noch da war. Sie sollte bis zum Ende der einzige Gegenstand bleiben, bei dem es wahrscheinlich ist, dass ihn jemand genommen hat. Alles andere, was abhanden kam, habe ich selber verloren.

In Tschalus biege ich von der Küste nach Süden ab und schlängele mich durch eine abenteuerliche Bergstraße über das Elbrus-Gebirge Richtung Teheran. Immer noch ist mir unerklärlich wie sich die vierspurige Autobahn verengen kann, ohne dass der Verkehr zusammenbricht. Die Ausblicke belohnen auch hier für den Anstieg. Das Licht der untergehenden Sonne bemalt die Berge, mit beginnender Dämmerung rolle ich in die iranische Hauptstadt Teheran ein.

Ein Kommentar

  • Margrit.timmann@gmail.com

    Liebe Anke, dein Bericht ist spannend und so erzählend, ich fahre in Gedanken mit und bin dabei entspannt, denn du bist gut nach Hannover zurùckgekommen! Mama

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