gen Osten,  Iran

Iran – Nord

Und dann ist sie da, die Grenze! Eigentlich sieht sie aus wie alle anderen und doch bin ich um einiges aufgeregter. So viel wurde erzählt vom Iran, so viel haben wir in den Nachrichten gehört. Was wird mich hier erwarten? Doch erst einmal stehen hier Menschen, die aussehen wie die Menschen all die Wochen zuvor. Die Schriftzeichen sind anders, das stimmt. Gab es in Georgien noch englische „Untertitel“ und in Armenien russische, so gibt es hier nur die arabische Schrift. Nur ganz selten sehe ich eine Erläuterung (z.B. „WC“, „Prayerroom“). Ich ahne schon, dass meine Karten-App auf dem Handy sehr viel wert sein wird, denn Schilder lesen kann ich hier nicht.

Schon das Passieren der armenische Seite der Grenze braucht Zeit. Es gibt kaum Beschilderungen und immer, wenn ich eine Richtung einschlage, werde ich mit Kopfschütteln abgewiesen. Endlich weist mir ein Mensch die Tür, durch die ich mit dem Fahrrad gehen kann. Von hinten komme ich an das Durchleuchtungsgerät, wie man es vom Securitycheck am Flughafen kennt. Alle Taschen wandern hindurch, ich habe den Eindruck, dass der Bildschirm dahinter die Beamten nicht wirklich interessiert. Mit einem Stempel im Pass werde ich weitergeschickt. Ich schlängele mich zwischen LKW durch, an einer Schranke zeige ich zum ersten Mal auf meiner Reise ein Visum. Im iranischen Gebäude muss ich mein Gepäck noch einmal abladen, wieder rollt es durch den Röntgenapparat. Alle sind hier sehr freundlich, grüßen mich und freuen sich, ihre wenigen deutschen Worte benutzen zu können. Dann bin ich auch schon durch – sehr problemlos, keine Fragen, keine Kontrolle meines Handys. Beim Verlassen des Grenzgebäudes werde ich angesprochen, ob ich Geld wechseln möchte, doch mir ist das zu unsicher, ich kenne den Kurs noch nicht gut und möchte in eine Wechselstube. Die gibt es hier nicht, dafür viele Geschäfte mit Kleidung, Haushaltsgeräten und Lebensmitten. Ich folge der Straße in die steinige Wüste und setze mich in der ersten Parkbucht in den Schatten meines Fahrrades, um das verbleibende armenische Handynetz zu nutzen. Ich wollte noch vieles erledigen, ein Ruhetag wäre vielleicht sinnvoll gewesen. Doch andererseits ist nichts dabei, was nicht auch noch warten kann.

Als ich vor dem Weiterfahren noch einmal auf die Karte schaue, merke ich, dass ich falsch bin. Ich hinterfrage noch einmal meine Routenwahl, die mir hier im Iran gar nicht so leicht fiel. Ähnlich wie in der Türkei liegt wieder ein riesiges Land vor mir, von dem ich weiß, dass ich nicht überall hinkommen werde. Ich bleibe bei meinem Plan, fahre wieder zurück, doch finde ich keine andere Straße. Ich überprüfe noch einmal die Karte und passiere dann erneut die letzte Schranke und komme wieder in das belebte Grenzgebiet mit den Geschäften. Nach zwei Kilometern finde ich eine weitere einfache Straße, die in die Richtung führt, in die ich möchte.

Ich kann mich gar nicht sattsehen, an den verschiedenen Gelb- und Braun-Tönen, den Hügeln, den Steinen. Die Straße ist schmal, aber in einem recht guten Zustand. Es fahren wenige Autos, immer wird von den Fahrern freundlich gewunken oder gehupt. Ich mache mir Sorgen wegen des Wassers, es ist heiß – über 40° – und Wasserstellen wie in der Türkei oder in Georgien gibt es hier nicht, Schatten noch viel weniger! Aber bald merke ich, dass es hier menschliche „Wasserquellen“ gibt 😁! Ich werde angehalten, um ein Foto gebeten, sehe ein Auto am Straßenrand oder spreche Bauarbeiter an: immer wird mir bereitwillig meine Wasserflasche gefüllt. Dennoch sollte man hier die Warnung mit genügend Wasser loszufahren, ernst nehmen. Ab jetzt habe ich immer 1 Liter Wasser zusätzlich als eine eiserne Reserve in der Tasche. Beim Nachdenken darüber fällt mir auf, dass ich eine Wasserflasche von mir lange nicht mehr gesehen habe. Dabei mag ich sie so gerne! Sie ist aus Silikon und fasst 1 Liter, leer dagegen nimmt sie fast keinen Platz weg. Anfang der Reise habe ich sie sehr viel benutzt, doch nun schon lange nicht mehr. Ich habe keine Idee, wo ich sie zuletzt noch hatte (beim Wandern in Georgien?), beziehungsweise wo ich sie hab liegen lassen. Vielleicht finde ich sie auf einem Foto wieder, um den Zeitraum eingrenzen zu können? Aber eigentlich ist es auch egal. Auf jeden Fall ist es zu lange her, um zurück zu fahren. Auch als ich abends alle Taschen durchschaue, taucht mein Andenken an Claudia und unsere USA-Wanderung in den Rocky Mountains nicht wieder auf. Ich werde in Deutschland versuchen mir eine neue zu besorgen.

Gegen 19.30 Uhr geht die Sonne unter. Schon eine Weile beobachte ich die Landschaft links und rechts der Straße, wo sich wohl ein Platz zum Schlafen bieten könnte. Als ich vor einer halben Stunde an einem See vorbeifuhr, war es mir noch zu früh. Nur sehr selten zweigen Fahrspuren rechts oder links von der Asphaltstraße ab. Hier gibt es einfach nichts was sich anbietet. Doch dann sehe ich bei einem genauen Blick auf die Karte kurz vor mir einen kleinen Fluss. Ich lasse die eingezäunten Obstplantagen hinter mir und schiebe dann mein Fahrrad die Böschung hinunter. Über eine gemähte Wiese gelange ich zum Wasser. Es ist eher ein Bewässerungskanal, doch er führt klares, plätscherndes Wasser und ist gesäumt von hohen Bäumen. Etwas Schilf bietet mir einen Sichtschutz zur Straße und Stämme für meine Hängematte gibt es hier genug. Vor einigen Stunden habe ich einen Kürbis gefunden, also gibt es heute Abend eine leckere Suppe aus Kürbis, Zwiebeln und dem Rest Miso. Als ich nach dem „Bad im Fluss“ (eher ein Waschen im flachen Kanal) schon fast im Bett bin, höre ich auf einmal Stimmen und sehe den Schein von Taschenlampen. Schnell lösche ich mein Licht. Ich bin mir unsicher, ob die Menschen mich gesehen haben und nach mir suchen oder ob sie einen anderen Grund haben, hier zu sein. Eigentlich leuchten meine Taschen und mein Fahrrad durch die Reflektoren sehr weit, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mich nicht bemerken, doch nach einer Weile startet der Motor des Mofas und sie fahren wieder weg. Danach kann ich beruhigt schlafen, bis ich von der Morgensonne geweckt werde.

Ich bastle immer noch an meinem Zeitplan. Wie lange brauche ich wohl nach Teheran? Wann will ich auf den Damawand? Welche Städte will ich besuchen? Und vor allem: wann werde ich an der Grenze nach Turkmenistan sein? Noch zögere ich die Buchung der Tour hinaus, ohne die man für dieses Land kein Visum bekommt, da ich mich nicht festlegen möchte. Schließlich habe ich mich sehr nach einem zeitlosen, stressfreien Reiseabschnitt gesehnt.

Im Iran kann ich gut üben, die Kontrolle abzugeben und zu vertrauen. Sobald ich mich darauf einlasse, macht es riesigen Spaß, es ist wie das Surfen auf einer Welle. Ich brauche eine Simkarte und dafür möchte ich Geld wechseln, mit westlichen Bankkarten kann man im ganzen Land keines abheben. Ich weiß, dass Euro und Dollar hier sehr begehrt sind. Dennoch habe ich in Armenien noch Drachmen abgehoben, da ich nicht weiß, wie lange meine Vorräte in der Westwährung reichen. Diese müssen zuerst gewechselt werden. Ich bekomme erzählt, dass es in der nächsten Stadt keine Bank gibt. Das kann ich mir nicht vorstellen, schließlich hat sie über 100.000 Einwohner. Ich rolle die Einfallstraße hinein. Rechts und links säumen kleine Geschäfte und Werkstätten den Weg und dann eine Bank – ab jetzt wird gesurft! Links neben dem Eingang ziehe ich eine Nummer, auf dem Zettel steht sie in arabischen Ziffern, die Anzeige an den Schaltern jedoch zeigt persische, die ich noch nicht lesen kann. Auf den Wartebänken sitzen neben einigen Männern auch drei Frauen. Ich wende mich an sie und bitte um Hilfe. Schon werde ich zu einem Schalter gewunken und interpretiere, das hier der Mitarbeiter arbeitet, der englisch spricht. Er fragt nach Euro und Dollar, aber ich gebe meine Drachmen. Er checkt im Handy den Kurs, tippt auf seinem Taschenrechner herum, spricht mit seinen Mitarbeitern. Dicke Geldbündel werden herausgeholt und mit einer Maschine mehrfach gezählt. Kollegen kommen hinzu. Der Angestellte fragt mich nach meinen Kurswünschen, ich sage, dass ich erst eine Simkarte bräuchte, ohne die müsste ich mich auf seine Hilfe verlassen. Er lächelt und sagt, dass er mir einen leicht geringeren Kurs geben müsse als im Internet zu finden. Das ist in Ordnung und ich nehme dankbar die 4.700.000 Rial (~100€) an, die er mir bietet. Als ich mich bedanke und verabschieden möchte, soll ich noch warten. Vielleicht auf eine Quittung oder ähnliches? Nach wenigen Minuten winkt mir ein Mann vom Eingang und bedeutet mir ihm zu folgen. Er bringt mich zum Simkarten-Geschäft von Iran-Cell in der Nähe und erklärt den beiden Frauen dort, was ich brauche. Nach einer Weile verabschiedet er sich entschuldigend, da er wieder zur Bank zum Arbeiten müsse. Es war tatsächlich einer der Angestellten, der mich hierhin begleitet hat! Die beiden jungen Frauen kommunizieren mit mir hauptsächlich über ihre Übersetzungsapp. Das klappt eigentlich ganz gut. Mein Name passt nicht so gut in ihre Computerfelder, das Abtippen aus dem Pass bereitet Schwierigkeiten. Wichtig ist hier der Name des Vaters und neben der Unterschrift mit einem Stempelkissen den Fingerabdruck auf das Formular zu setzen. Fingerprints in analog!

Simkarte und Geld wären also erledigt, beides gehört in einem neuen Land immer zu den ersten Aufgaben. Ich buche noch weitere 10 GB hinzu, das Leben in Georgien und Armenien mit dem unbegrenzten Datenvolumen war doch sehr komfortabel. So richtig funktioniert das Internet aber noch nicht. Als ich wieder an der Straße ratlos auf mein Handy schaue, spricht mich Rashid an und ehe ich mich versah, folge ich schon seinem Auto zu einem Handyladen. Dessen Inhaber tippt auf meinem Smartphone herum, hält es vor mein Gesicht für die Face-ID zum Runterladen einer anderen HandyApp und wenige Minuten später sind alle Einstellungen des VPN (Virtual Private Network) richtig, WhatsApp-Nachrichten und Emails laufen ein. Ich bin glücklich und fahre wieder hinaus in die Einsamkeit, die hier zwischen den Städten und Dörfern herrscht.

Als ich abends nach meinem Bad im Stausee mein Handy aus dem Flugmodus wecke, bekomme ich eine Nachricht, dass meine Simkarte wieder gesperrt ist, da die Ausweisdokumente nicht übermittelt wurden. Also surfe ich in der nächsten Stadt eine weitere Welle: ich halte an einem technisch aussehenden Laden, sehe dann aber, dass dieser Überwachungskameras verkauft. Ich frage dort trotzdem nach dem IranCell-Shop. Der Inhaber Reza schließt sein Geschäft ab und bringt mich zu Fuß zu der Filiale der Telefon-Gesellschaft. Hier wird das gleiche Procedere wie gestern noch einmal ausgeführt. Meine Beteuerung, dass ich schon eine Simkarte hätte, scheint nicht zu zählen. Ich lasse es geschehen, übe mich im Treiben lassen. Am Ende muss ich nichts bezahlen und bekomme sogar noch einen Gutschein-Code über 3,5 GB. Auf meine Nachfrage bezüglich der ersten Simkarte übermittelt der Mann hinter dem Tresen noch einmal meine Ausweisdokumente und meint, dass sie nun auch funktionieren müsste. Wow, was für ein Service hier!

Reza zeigt mir noch den Weg zu dem Park, in dem einige Sehenswürdigkeiten dieser Stadt liegen, dann geht er wieder in sein Geschäft. Auf einer schattigen Bank versuche ich mir einen Überblick über die Nachrichten der letzten Tage zu verschaffen. Ein neues Land ist immer sehr aufregend, bis man sich sortiert hat, der Klang der Sprache vertrauter wird und man ein Gefühl für die Währung bekommt, dauert es jedes Mal ein bisschen. Ich genieße die Ruhe in dieser schönen Umgebung. Als ich mich nach einer Weile umschaue, kommt Reza um die Ecke. Vielleicht hat er jetzt Mittagspause? Er ist sehr interessiert und freut sich über das Gespräch mit mir. Nach einer Weile kommt ein weiterer junger Mann hinzu und reicht mir eine Tüte mit Obst. Dies sei von seiner Mutter, die mich herzlich einlädt, bei ihr zu Gast zu sein. Eigentlich war meine Pause lang genug und ich möchte weiter fahren. Andererseits macht es mich neugierig, eine Frau kennen zu lernen, auch Reza ermutigt mich: ich könne mich dort erholen. Also folge ich Purya einige Straßen weiter und lerne dort seine Mutter Manizhe kennen. Sie ist wirklich hoch erfreut, dass ich sie besuchen komme. Was genau dies ausmacht, durchschaue ich noch nicht ganz. Ich vermute, es ist eine Mischung aus der Neugier Reisenden gegenüber, aus dem Gefühl, etwas Gutes getan zu haben und der religiösen, kulturellen Tradition der Gastfreundschaft. Ich bekomme eine Kleinigkeit zu essen, freue mich insbesondere über die vielen grünen Kräuter. Danach zeigt man mir das Schlafzimmer, um mich auszuruhen. Ich nutze die Pause für einige Überweisungen und E-Mails. Eigentlich tut es mal ganz gut, mir Zeit zu nehmen. So entschließe ich mich, die Nacht hier zu verbringen, da Manizhe erzählt, dass ihre Mutter Rokhsare meinetwegen zu Besuch kommen wird. Als sie erzählen, dass es um 21 Uhr Abendessen gibt, ahne ich, dass es heute spät wird. Ich sollte richtig liegen… Nach der Mutter, die mich innig begrüßt und herzt, kommen auch noch weitere Schwestern mit ihren Familien. Es wird zwölf, dann ein Uhr. Selbst Anis mit ihren neun Jahren zeigt keine Anzeichen von Müdigkeit. Ich unterhalte mich mit ihr und ihrer Mutter über die verschiedenen Schulen. Als wir uns gegenseitig Fotos zeigen, sind wir beiderseits erstaunt: In ihrer Klasse gibt es eine Schuluniform mit Kopftuch, obwohl dort selbstverständlich nur Mädchen sind. Die beiden wiederum sind sehr verblüfft, dass bei uns die Klassen gemischt-geschlechtlich sind. 

Schließlich gehen die Gäste und ich werde wiederum ins Schlafzimmer geschickt. Am nächsten Morgen sehe ich, dass Manizhe und ihre Mutter Rokhsare auf Matten auf dem Wohnzimmerteppich geschlafen haben. Purya musste schon um 5 Uhr morgens zu seiner Arbeit bei der Polizei aufbrechen, wo er geschlafen hat, bleibt ein Rätsel. Innerhalb der Wohnung tragen die Frauen kein Kopftuch. Doch sobald ich ein Foto machen möchte, muss ich warten, bis ihre Haare bedeckt sind. Auch als gestern das letzte Ehepaar zu Besuch kam, wurden wieder Kopftücher getragen. Das System dahinter habe ich noch nicht verstanden. Deutlich gemerkt habe ich jedoch, dass mein Hände schütteln mit dem männlichen Besuch hier nicht angebracht war. Die Frauen dagegen sind alle sehr herzlich, man umarmt und küsst sich häufig. Manizhe fragt mich, ob ich nicht noch bleiben möchte, doch mich zieht es nun wirklich weiter.

Ich fahre weiter durch die Wüste. Am Straßenrand werden Äpfel verkauft, die hier in großen Haufen, eher Bergen, liegen. Für mich sind Äpfel so typisch deutsch, dass sie für mich hier fehl am Platz wirken. In der Nähe von Yelsuyu fahre ich am Portal des „Hydrotherapie, Tourism and Recreation Complex“ vorbei. Ich bin neugierig und biege ab. Am Ende der Einfahrt finde ich ein für Männer und Frauen getrenntes heißes Bad. Das lasse ich mir nicht entgehen, trotz der 50 Grad, die es hier in der Mittagszeit heiß ist. In dem Gebäude erwarten mich ein großes und einige kleine Becken mit warmen mineralhaltigen Wasser, überall tummeln sich Frauen und Kinder, es herrscht eine herrlich entspannte Stimmung. Ich bade in Unterhose und Top, ein Badeanzug befindet sich nicht in meinem Gepäck. Nach einer guten Stunde Entspannung und einigen Bahnen Kraul mache ich mich auf und fahre weiter. Die nasse Kleidung trocknet in kurzer Zeit auf meinem Gepäck.

In der nächsten größeren Stadt versuche ich noch einmal mein Glück, eine Landkarte zu finden. Ich bleibe damit erfolglos. Die Leute verstehen meinen Wunsch nicht und fragen mich immer nur, ob ich nicht mit meinem Handy navigieren könnte. Die Übersetzung einer der Antworten durch meine TranslatorApp bringt es auf den Punkt: „Dein Handy weiß den Weg!“ Aber ich gebe noch nicht auf. Ich fahre alle Buchläden ab, die ich bei Google Maps gefunden habe. Die ersten entpuppen sich als Schreibwarengeschäfte, doch der letzte ist ein großer Raum voller Bücher. Mehr oder weniger vergilbt stehen sie in Regalen und liegen in Stapeln auf Tischen. Überall stehen Männer in kleinen Grüppchen, unterhalten sich und rauchen. Es scheint wie eine Mischung aus Buchladen und Leseclub. Sehr hilfsbereit machen sich gleich mehrere der Bedienungen hinter dem Tresen auf die Suche nach einer Karte für mich. Hier kaufe ich schließlich diejenige, die ich gestern noch abgelehnt habe, da zum einen kaum Straßen eingezeichnet sind und zum anderen die komplette Beschriftung in arabischer Schrift ist. Zum einen habe ich die Hoffnung eine geeignetere zu finden aufgegeben, zum anderen reicht sie eigentlich für das, was ich möchte: mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, zu zeigen woher ich komme und wohin ich fahre. Durch das Gespräch im Buchladen komme ich erst spät los. Man merkt inzwischen deutlich, dass ich dem Äquator näher gekommen bin, es wird sehr schnell dunkel. Gerade steht die Sonne noch hoch am Himmel, schwupps, schon ist es sieben und sie geht unter und schon vor acht ist es dunkel. An der großen Straße gibt es regelmäßig Einrichtungen, die unseren Autobahnraststätten ähneln. Ich setze mich in einen der Pavillons und fange erst einmal an zu kochen. Dabei kann man immer gut die Lage sondieren, wie es mit dem Übernachten aussieht. Hier ist wirklich viel los, ich unterhalte mich mit den Autofahrern, alle fragen nach dem Woher und Wohin. Einer wird auch hier in seinem Auto übernachten und bietet mir an, dass ich bei Problemen zu ihm kommen kann. Dann kommt ein Mensch, der deutlich nicht zu den Autofahrern gehört mit seiner seriösen Kleidung. Auch er fragt, ob ich hier übernachten möchte. Es stellt sich heraus, dass er der Inhaber von der ganzen Raststätte ist. Als ich ihm meinen Plan mit der Hängematte erkläre, deutet er auf ein Gebäude im Hintergrund, das gerade umgebaut wird. Ein großer Saal mit Toilette, Licht, Steckdose und einer abschließbaren Tür. Wir legen zusammen den Teppich aus, der zusammengeklappt auf der Tischtennisplatte lag, den Schlüssel soll ich morgen früh in der Tankstelle wieder abgeben. Ich freu mich über meine Unterkunft, es wäre sonst zwar keine gefährliche, aber eine sehr unruhige Nacht geworden.

Nachdem ich am Sabalan, dem dritthöchsten Berg (4811 m) und nach dem Damavand dem zweithöchsten Vulkan des Landes, vorbei gefahren bin, werde ich mittags in Ardabil von Vida, Rashid und ihrer kleinen Tochter Mersana zum Essen eingeladen. Eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung mit der Toilette im Hof, drei wunderbare Menschen, die ich hier treffen darf. Danach mache ich mich auf, die Stadt zu entdecken. Ardabil ist mit mehr als 500.000 Einwohner:innen die erste Großstadt, in die ich komme, sie liegt von Bergen umgeben auf einem Plateau. Seit der Zeit der Ausbreitung des Islam im Iran (ca. 600 n.Chr.) war Ardabil die größte Stadt im Nordwesten des Landes. Erst die Invasion der Mongolen im 13. Jahrhundert setzte der Stadt schwer zu. Ich wähle für die Entscheidung, welche Dinge ich mir anschauen möchte, immer eine Mischung aus verschiedenen digitalen Quellen und den Tipps der Einheimischen. In der Fußgängerzone finde ich das Grabheiligtum des Scheich Safi Al-Din Ardebili. 2010 wurde der Gebäudekomplex von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt, auf der nationalen Denkmalsliste des Iran steht er auf Nummer 64. Auf dem Gelände befindet sich das ehemalige Sufi-Zentrum und das Grab von Scheich Safi ad-Din, dem Namensgeber der Dynastie der Safawiden. Es diente ihm und seinen Nachfolgern auch als Wohnsitz. Nach seinem Tod wurde ein Grabturm für ihn erbaut, auch seine Familienangehörigen fanden in einem eigens dafür errichteten Anbau ihre ewige Ruhe. Mit der Thronbesteigung seines Urenkels Ismail nahm der Gebäudekomplex die Funktion eines Grabheiligtums ein, Ismail selbst ließ sich ebenfalls hier bestatten. Die Angehörigen der Safawiden-Dynastie pilgerten fortan zum Grab ihrer Vorfahren, weitere Anbauten und Verschönerungen wurden vorgenommen. Ich bezahle den Eintritt und werde aufgefordert mein Rad in den Garten zu stellen. Im Nachhinein bin ich darüber sehr dankbar, wusste ich vorher noch nicht, dass ich hier Stunden verbringen würde. Ein wunderbares Gebäude reiht sich an das andere. Im Hauptteil werde ich von einem freundlichen Mann angesprochen. Er sagt, ich solle hier warten, er würde mir eine englischsprachige Führung arrangieren. In der Wartezeit schaue ich mich in dem Raum mit vielen chinesischen Tellern um, alles Geschenke vom chinesischen Kaiser an die Herrscher hier. Nach einer Weile kommt wirklich eine Frau, die mir im sehr guten Englisch viele Einzelheiten über diese Anlage erklärt. Immer wieder werden wir unterbrochen von Gruppen, die ein Foto mit mir machen möchten. Ich selber komme damit klar, habe aber ein schlechtes Gewissen gegenüber der Dame, die die Führung macht. Sie steht lächelnd und geduldig daneben und wartet, bis alle Handys einmal an der Reihe waren. 

Es ist wirklich spannend, hier einen Einblick in diese uralte Kultur zu bekommen. Besonders eindrücklich bleiben mir die Schilder in Erinnerung, die auf die Schätze verweisen, welche sich in Museen in Russland oder England befinden. Das Thema der Kunstraube ist interessant und für mich nicht eindeutig zu bewerten. Schließlich ist es schon ebenso Fakt, dass die allermeisten dieser Exponate nicht mehr existieren würden, wenn Forscher und Militär sie nicht in die westlichen Länder mitgenommen hätten.

Immer wieder treffe ich auf eine große Gruppe von lustiger, offener, lächelnder Frauen. Wir unterhalten uns und sie erzählen, dass sie sich unter dem Thema „positives Denken“ zusammen geschlossen haben. Es ist inzwischen spät geworden, auf meine Frage hin geben sie mir den Tipp, dass man an dem See der Stadt zelten könne. Doch als ich schließlich mit dem Fahrrad das Museum wieder durch den Eingang verlasse, stehen sie schon auf der Straße und können es kaum erwarten zu erzählen, dass eine von ihnen mich gerne über Nacht aufnehmen würde. Shokufé ist mir gleich sympathisch, nachdem wir noch alle gemeinsam ein Safran-Eis gegessen haben, nimmt sie mich mit in ihr nahegelegenes Haus. Mein Fahrrad kommt in die Garage und wir fahren mit dem Fahrstuhl in den fünften Stock, in dem uns ein riesiges leeres Zimmer erwartet. Dann kommt ihre Tochter Maryam, sie wohnt eine Etage darüber. Zum Abendessen gehen wir hoch. Dort sind noch zwei Enkelsöhne und Shokufés Mann. Die Wände sind verdeckt von Vitrinen voller Silber und Porzellan. Wie sich die nächsten Tage herausstellen sollte, ist der Vater beziehungsweise Großvater ein begeisterter Sammler historischen Objekte aus Warschau, Tschechien, Russland, England, speziell Porzellan Silber, Zinn und Samoware. Ich habe viel Freude, mit ihm im Internet nach den Stempeln zu suchen und das Alter und den Preis zu schätzen. In dieser Familie ist der Umgang zwischen den Geschlechtern viel offener als ich es am Abend bei Puryas Familie empfunden habe. Die Blicke sind freundlich und interessiert, Hände werden herzlich geschüttelt.

Am nächsten Morgen sind sie mit ihrer Gruppe zum Sonnenaufgang zu einem Runde um den Shorabil See verabredetet mit anschließender Meditation und Frühsport. Es wird sehr vorsichtig gefragt, ob mir das nicht zu früh sei. Sie ahnen ja nicht, wie sehr ich mich freue, hier Menschen zu treffen, die ähnliche Aktivitäten lieben wie ich! Beim Picknick sitzt eine Frau ohne Kopftuch bei uns. Ich spreche sie an und frage, wie es ihr im Alltag damit geht. Sie erzählt von ihrer Entscheidung vor einem Jahr, sagt, dass sie dadurch keine Probleme bekäme. Sie gibt allerdings auch zu, dass es durch ihre Selbstständigkeit als Coach einfacher sei. An den meisten anderen Arbeitsplätzen ist es nicht möglich ohne Kopftuch zu erscheinen.

Am nächsten Tag machen wir einen Ausflug nach Sarein, dass für seine heißen Bäder berühmten ist. Shokufé und ich verbringen eine wunderbar entspannende Zeit in den Becken, lassen uns in der Wärme treiben. Sie findet zwei Mädchen, die Englisch sprechen und für uns dolmetschen.

Was für eine Begegnung! Es tat so gut, die zwei Tage in dieser herzlichen Familie aufgenommen zu werden. Unser Kontakt wird die ganze Zeit meiner Reise nicht abreißen und besteht bis heute. Ich schaue mir noch einige weitere Sehenswürdigkeiten an, kaufe eine Schachtel schwarzes Sesammus, der lokalen Spezialität, und mache mich dann auf Richtung Wasser: das Kaspische Meer wartet auf mich!

2 Kommentare

  • Papa

    Liebe Anke,
    meinetwegen könntest Du noch ein paar Jahre weiter um die Welt fahren, ab und zu auf Heimaturlaub kommen und uns ab und zu mit solch erfrischend lebendigen Berichten einigermaßen auf dem Laufenden halten. Leider hört der niedersächsische Finanzminister mal wieder nicht auf mich und wird Dir den Geldhahn zudrehen.
    Genieß jeden Kilometer Deiner Tour, auch wenn Du in Sackgassen umdrehen musst. Alle Wege sehen in der anderen Richtung oft ganz anders aus.
    Liebe Grüße, Papa

  • eva

    Liebe Anke,
    wenn ich es richtig verstanden habe, bist du ja inzwischen wieder – ich hoffe heil – in Hannover angekommen. Danke, dass ich dich auf deiner Reise begleiten durfte. Ich bewundere deinen Mut und wünsche dir einen guten Start ins neue alte Leben; vielleicht sehen wir uns ja gelegentlich mal.
    Ganz liebe Grüße und vielen Dank für die tollen Berichte und Einblicke in ganz fremde Länder – und in dein Leben on tour
    eva

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