Teheran und Isfahan
Große Städte und Schlafplatz-Finden passen nicht gut zusammen, besonders nicht im Dunkeln. Ich mache das mir am meisten Naheliegende und fahre zum Chitgar-See, dem größten künstlichen See im Iran. Eröffnet wurde der See nach vier Jahren Bauzeit 2013, am Ufer der 130 ha Wasserfläche wirkt Teheran wie eine Küstenstadt. Im Nordwesten der Stadt bietet das 120 ha große Erholungsgebiet drumherum in allen vier Jahreszeiten Gelegenheit zum Radfahren, Spazierengehen, für Unterhaltung, Picknick, spannendes Nachtleben und romantische Verabredungen. Ich fahre im Schritttempo auf den geschlängelten Wegen zwischen unzähligen Picknick-Gesellschaften hindurch. Meine Hoffnung auf einsame Uferabschnitte erfüllt sich nicht. Die war für eine Stadt mit 9 Millionen Einwohner:innen vielleicht auch etwas blauäugig. Die Stimmung ist aber angenehm friedlich, ich schaue mir die beeindruckende Skyline und moderne Kunstobjekte an der Promenade an, bevor ich mir in dem größten der Gebüschstreifen im Park zwei Bäume für meine Hängematte suche. An Toilettenhäuschen mangelt es hier jedenfalls nicht.
Nach einer ruhigen Nacht setze ich meine Erkundungstour um den See fort. An einem Steinstrand hat ein älteres Ehepaar seine Picknickgarnitur mit Sonnenschirm aufgebaut und winkt mich heran. Sie sind hier, um mit ihren Zwillingsenkeln zu frühstücken. In der Pfanne auf dem Gaskocher schlagen sie viele Eier in die Tomatenzwiebelsoße, fertig ist das typische iranische Omelette, das auf türkisch Menemen heißt. Nach interessiertem Gespräch mit den Erwachsenen und Fische füttern mit den Kindern mache ich mich auf, um die Seeumrundung zu beenden. Auf der südlichen Seite des Sees liegt der Chitgar Forest Park, hier treffe ich Arslan, Ayda und Alireza auf ihren Mountainbikes. Ich benötige Lenkerband, da meines sich langsam auflöst und eine neue Luftpumpe. Hierbei können mir die drei Radfahrer natürlich gut helfen. Mit vielen Tipps für Sehenswürdigkeiten und Fahrradläden mache ich mich nach einem gemeinsamen zweiten Frühstück (wieder mit Omelett) auf, die Stadt zu erkunden.
Zuerst radele ich zu dem bekanntesten moderneren Bauwerk Teherans: dem 45 Meter hohen Freiheitsturm (iranisch: Azadi), der 1971 aus Anlass der 2500-Jahr-Feier der iranischen Monarchie unter dem Namen Shahyad-Turm (etwa „Denkmal der Schahs“) aus über 25.000 weißen in Isfahan gebrochenen Marmorsteinen errichtet wurde. Nach der Iranischen Revolution von 1979 wurde er in Azadi-Turm umbenannt. Heute gilt der Turm als Wahrzeichen des modernen Teheran, eine imposante Erscheinung mitten auf einer grünen Insel im Autobahnkreis. Mit dem Fahrrad ist es gar nicht so leicht, sich ihm zu nähern. Aus der Ferne sehe ich den im Jahre 2007 fertiggestellten 435 Meter hohen Fernsehturm Borj-e Milad, höchstes Bauwerk im Iran und sechsthöchster Fernsehturm der Welt.
Nach einigen Erinnerungsfotos begebe ich mich in die Innenstadt. Dort interessiert mich am meisten der Golestanpalast, der bis 1979 Sitz des Schahs war und bis heute einen einzigartigen Einblick in die Pracht vergangener Tage bietet. Insgesamt lässt die Architektur des Palastes einige europäische Bestandteile erkennen, die in sehr schöner Weise mit den orientalischen Bereichen verbunden wurden. Übersetzbar ist der Name „Golestan Palast“ mit „Palast der Blumen“ oder „Palast des Rosengartens“. Zusätzlich zu den orientalisch gestalteten, bunt gefliesten und kunstvoll dargestellten Szenen auf den Fassaden rund um den Garten hat der ehemalige Regierungspalast auch in seinem Inneren eine Vielzahl von Schätzen zu bieten: Museen, in denen Keramiken, Schmuck und Waffen gezeigt werden. Insgesamt gibt es 17 Gebäude und Hallen, die Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts errichtet wurden. Ich kann mich kaum entscheiden, wo ich beginnen soll und wechsele zwischen den interessanten Ausstellungen und der prächtigen Gartenanlage hin und her. Im Golestan Palast wurden 1925 Reza Khan und 1967 sein Sohn Mohammed Reza Pahlavi, der letzte Schah von Persien, gekrönt. Er ist damit ein Ort mit enormer historischer Bedeutung, der seit dem 23. Juli 2013, mittlerweile restauriert, Teil des Weltkulturerbes der UNESCO ist.
Früher als gedacht wird der Palast geschlossen. Der Wärter schimpft mit mir, dass ich das Fahrrad einfach vor der Tür angeschlossen habe, „dort sei es zu gefährlich!“. Ich handele heraus, dass ich morgen noch einmal wiederkommen darf und fahre dann zum Basar. Lust zum Shoppen habe ich nicht, so genieße ich es einfach durch die Straßen und Gassen zu rollen. An der Imam-Chomeini-Moschee mit ihren gelbgrundig glasierten Fliesen und der blauen Kuppel vorbei zum Meidan-e Baharestan (Platz des Frühlings) mit der „Masdsched-e Schahid Mottahari“ (erbaut 1830), der mit 3700 Quadratmetern größten Moschee der Hauptstadt.
Teheran ist eine Großstadt! Moderne Viertel wechseln sich mit ärmeren ab. Seit 1796 ist sie Hauptstadt, 1883 zählte man über 1.000.000 Einwohner, damit wurde Teheran zur größten Stadt Persiens. Die Wohnungsknappheit in der Stadt, die hohen Mieten und die Immobilienpreise führten zu einem explosionsartigen Bevölkerungsanstieg im (preislich günstigeren) Umland von Teheran. Dörfer verwandelten sich innerhalb weniger Jahre zu Großstädten ohne jegliche städtische Infrastruktur und Versorgungseinrichtungen. Die 25 Kilometer westlich gelegene Stadt Karadsch zum Beispiel hat mittlerweile etwa drei Millionen Einwohner und wird als die größte Schlafstadt der Welt bezeichnet. In einer Rangliste der Städte nach ihrer Lebensqualität belegte Teheran im Jahre 2018 den 200. Platz unter 231 untersuchten Städten weltweit. 2005 gab es im Iran pro Stunde durchschnittlich drei Verkehrstote, das heißt pro Jahr circa 27.000. Damit lag das Land auf Rang eins der internationalen Statistik. Nichtsdestotrotz fühle ich mich hier im Verkehr sehr sicher, die Stadt bietet viel, beeindruckt und überfordert mich, wie so viele Großstädte auf der Reise.
Nach einem vollen Tag mit vielen Eindrücken habe ich mich mit Ayda und Alireza verabredet. Sie haben mich eingeladen, die Nacht bei ihnen zu verbringen. Eine gemütliche Zwei-Zimmer-Wohnung mit offener Küche, kleinem Balkon und einer eigenen Kaffee-Bar empfängt mich. Nach einem kleinen Abendbrot machen wir uns auf zur Tabiat-Brücke, die mit 270 Meter eine Stadtautobahn überspannt und zwei Parks mit buntem Treiben, vielen Lichtern und Gastronomie verbindet. Sie hat drei Ebenen: eine für JoggerInnen und RadfahrerInnen, eine mit Cafés und eine, die als Aussichtsplattform einen grandiosen Blick über das nächtliche Teheran vor der Kulisse des Elburs-Gebirges bietet. Für die Ende 2014 eingeweihte Brücke bekam die 31-jährige Architektin Leila Araghian eine Auszeichnung. Sie habe mit der Brücke nicht nur eine Verbindung zwischen zwei Punkten entwerfen wollen, so Araghian: „Es ist üblich, dass Brücken gradlinig entworfen werden. Und grade Linien fordern quasi dazu auf, vorwärts zu gehen. Ich aber hatte den Wunsch, dass die Menschen auf meiner Brücke bleiben. Die Brücke ist nicht nur eine Struktur, die zwei Punkte miteinander verbindet, sondern auch ein Ort, an dem Menschen sich aufhalten und Spaß haben können“. Zu sehen, dass die Umsetzung ihrer Vision so gut gelungen sei, erfülle sie mit großer Freude, zumal die Tabiat-Brücke ihr erstes Projekt war, so Araghian weiter. Von iranischen Architekturkennern wird das 270 Meter lange Bauwerk bereits als drittes Wahrzeichen der Hauptstadt nach dem Azadi- und dem Milad-Turm gehandelt.
Alireza geht morgens arbeiten, er betreibt ein Geschäft mit Plastikverpackungen für Lebensmittel. Ayda und ich genießen den Vormittag, machen gemeinsam Yoga. Es ist sehr schön, hier eine Frau zu treffen, mit der ich so viel teile. Bis zum Ende meiner Reise und darüber hinaus schreiben wir uns in Vollmondnächten. Der Mond scheint über allen Ländern! Auch meiner Mutter ist dies ein Symbol der Verbundenheit. Mich zieht es weiter nach Süden. Inzwischen habe ich mit Ali Kontakt aufgenommen, den ich auf dem Ararat in der Türkei getroffen habe. Dort lud er mich ein, mit ihm zusammen den Damavand zu besteigen. Er wohnt in Isfahan, diese alte Stadt ist also mein nächstes Ziel!
Ich nutze mein Freiticket für den Golestan-Palast, fahre noch an weiteren Palastanlagen und Mausoleen vorbei und bin dann wieder auf der Straße. Die Ruhe und Einsamkeit tut gut.
In Isfahan angekommen werde ich herzlich von Ali und seinen Eltern, Zahra und Majid empfangen. Majid ist seit der Pensionierung ein selbstbewusster Hausmann, Zahra ist gerade erst gelandet, nachdem sie drei Monate ihre Tochter in Kanada besucht hat. Da Ali viel mit seiner Autofirma zu tun hat, übernimmt sie es mit Freude, mir ihre Stadt zu zeigen. Um 1000 v. Chr. gegründet, wurde sie im Jahr 640 von den Arabern erobert. Damit begann die islamische Geschichte Isfahans und ein Aufschwung, der die Stadt später zum Sitz der bedeutenden persischen Herrscherdynastien machte. Im 13. Jahrhundert geriet die Stadt infolge des Mongolensturms unter die Herrschaft des Mongolischen Reiches. 1388 wurde sie mit ihren damals 70.000 Einwohnern durch den türkisch-mongolischen Eroberer Timur zerstört. Mit der Eroberung der Stadt durch die Safawiden im Jahr 1502 begann die größte Blütezeit der Stadt, die im 17. Jahrhundert ca. 600.000 Einwohner hatte. 1598 wurde Isfahan erneut Hauptstadt und durch zahlreiche Prachtbauten und Gartenanlagen verschöntert. Aus dieser Zeit stammt das persische Sprichwort „Isfahan ist die Hälfte der Welt“. Im 16./17. Jahrhundert entstanden die bis heute eindrucksvollen Prachtmoscheen mit ihren für die persischen Sakralbauten typischen großen Iwans (Bögen) rund um den Imam-Platz (Meidan) im Zentrum der Stadt, an dem wir unsere Besichtigungstour beginnen. 1722 fiel Isfahan nach längerer Belagerung an aufständische Afghanen. Unter den nachfolgenden Dynastien verlor Isfahan seinen Hauptstadtstatus an Maaschhad, Schiraz und Teheran. Die große Bautätigkeit wurde dadurch beendet, aber in der Folgezeit wurden die Prachtbauten Isfahans bewahrt und teilweise noch ausgebaut.
Der Platz Meidān-e Naqsch-e Dschahān (auch Meidān-e Emām, früher Meidān-e Schāh = „Platz des Abbildes der Welt“) ist über 500 Meter lang und wird von doppelstöckigen Arkaden eingefasst. So fügen sich der Platz und die ihn umgebende Bebauung zu einem geschlossenen Ensemble, das die Verknüpfung von weltlicher Kultur mit Geistlichem sowie mit Handel und Kommerz symbolisieren soll. Er wurde gleichermaßen als Marktplatz, Gerichtsort, Spielfeld und Festplatz geplant. An jeder Seite ist er mit einem besonderen Gebäude geschmückt: Mit den Prachtmoscheen Masǧed-e Emām („Imam-Moschee“, früher „Schah-Moschee“) an seiner Südseite und der Moschee Šeyḫ Loṭfollāh an seiner Ostseite, dem Königspalast ʿĀlī Qāpū („Hohe Pforte“) an seiner Westseite sowie dem Basareingang Qaiṣariye an seiner Nordseite gehört er zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten des Vorderen Orients. Er ist mit 9 ha weltweit der größte Platz seiner Art und zählt seit 1979 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die Umrundung gleicht mehr einer Wanderung, wir besichtigen die Gebäude, ich bin zutiefst beeindruckt und träume mich zurück in die Zeit der Seidenstraße. Isfahan ist der Hauptschauplatz des bekannten Romans „Der Medicus“ von Noah Gordon. Auch für die gleichnamige Romanverfilmung aus dem Jahre 2013 spielt der Ort eine zentrale Rolle, allerdings wurden die orientalischen Szenen in Marokko gedreht. Hier spürt man wirklich jahrtausendealte Geschichte!
Mittags begeben wir uns zum Basar, der die Schah-Moschee mit der Freitagsmoschee verbindet. Er gilt als einer der größten im Iran und wurde überwiegend im 16. Jahrhundert errichtet. Die Gänge zwischen den Geschäften sind so breit, dass hier sogar Motorroller und kleine Lastwagen fahren. Hier gibt es erstaunlich und erfreulich wenig „Touristen-Stände“ dafür jedoch ein leckeres Mittagessen, das uns für die zweite Hälfte des Tages stärkt. Wir gehen zum Hascht-Behescht-Palast („Palast der acht Paradiese“). Der Name des Palastes bezieht sich auf den islamischen Paradiesgarten. Er wurde 1669 fertiggestellt und liegt inmitten einer persischen Gartenanlage mit der ursprünglichen Bezeichnung „Nachtigallengarten“ (Bāgh-e Bolbol). Der Palast gehörte einst zu den am reichhaltigsten verzierten Gebäuden der Stadt. Mit der Zeit wurden die Innendekorationen jedoch weitestgehend zerstört. Architektonisch lebt der Bau von dem Zusammenspiel innerer und äußerer Räume. Hier sieht man weitestgehend Holz als Material. An der Fassade befinden sich mehrere Kachelarbeiten mit Darstellungen diverser Tiere. Ich bin erstaunt auch Tiger und andere Raubkatzen zu entdecken, werde jedoch von Zahra aufgeklärt, dass auch diese im Iran leben. Vielleicht sollte ich doch mein Wildcamping überdenken… 1977 wurde der Palast restauriert, was 1980 mit dem Aga Khan Award for Architecture ausgezeichnet wurde. In den vergangenen Jahren wurde der Garten in einen für die Öffentlichkeit zugänglichen Park umgewandelt.
Zum Abschluss der Sightseeingtour gehen wir zur Si-o-se Pol, der 33-Bogen-Brücke, von wo uns ein Bus in Richtung Heimat bringt. Ali wohnt mit seinen Eltern im Süden der Stadt etwas außerhalb in der Nähe vom Sofeh-Berg. Am Abend treffen wir uns dort mit seiner Freundesgruppe für eine kurze Wanderung. 2257 Meter klingt ganz schön hoch. Doch hier befinden sich nur die letzten 590 Meter über der Ebene der Stadt, so dass sich die Anstrengung in Grenzen hält. Die Aussicht im Dunkeln auf das beleuchtete Isfahan ist dagegen wunderbar und ich freue mich die bunt gemischte Gruppe aus Sportlern, Bergsteigern und Radfahrern zu treffen. Sie sind sich einig, dass das Pamir-Gebirge mit meinem schweren Rad nicht zu bewältigen ist… Wir werden sehen!
Die Si-o-se Pol („33-Bogen-Brücke“) ist eine von elf Brücken über den Zayandeh Rud und neben der Pol-e Schahrestan und der Pol-e Chadschu, die wir am kommenden Tag besichtigen, eine der bekanntesten. Sie wurde in der Safawiden-Zeit erbaut und gilt als Meisterwerk dieser Epoche. Si-o-se Pol ist ein zweistöckiges Viadukt, konzipiert als Ziegelbau auf Steinpfeilern. Sie ist 290 Meter lang und 13,5 Meter breit und besteht, wie der Name sagt (persisch Sioseh = 33), aus 33 Bögen.
Die Pol-e Schahrestan ist die älteste und am weitesten stromabwärts gelegene der drei bekannten Brücken Es wird vermutet, dass die Steinpfeiler und die bugähnlichen Wellenbrecher bereits aus der frühen Sassanidenzeit, also bereits aus dem 3. nachchristlichen Jahrhundert stammen. Das darüber liegende Bogenwerk aus Ziegelstein wurde in der Periode der islamischen Seldschuken-Fürsten im 11. Jahrhundert errichtet. Die Brückenbogen sind mit weiteren bogenförmigen Durchlässen im Pfeilerbereich kombiniert, um in Zeiten starker Wasserführung einen maximalen Durchfluss zu sichern. Die Pol-e Schahrestan gilt wie auch die anderen beiden Brücken als architektonisches Glanzstück der Zeit.
Pol-e Chādschu („Chadschu-Brücke“) wurde um 1650 auf den Fundamenten einer älteren Brücke aus der Timuridenzeit errichtet und nach einem nahegelegenen Stadtviertel benannt. Laut Inschrift wurde die Brücke 1873 instand gesetzt. Sie wurde von zahlreichen Reisenden beschrieben, George Curzon nannte die Brücke 1892 „die stattlichste Brücke der Welt“. Alle drei Brücken sind riesig, dies wirkt absurd, da sich unter ihnen kein Wasser befindet! Der Fluss Zayandeh (=“Lebenspendender Fluss“) war der wasserreichste in Zentraliran und einer der wenigen, die ganzjährig Wasser führten. Seit Ende der 2000er Jahre ist er jedoch aufgrund von Übernutzung des Grund- und Oberflächenwassers und sinkender Niederschlagsmengen einen Großteil des Jahres ausgetrocknet.
Die Freitagsmoschee besichtigen wir nicht von innen. Zahra lehnt es ab, einen Tschador (Umhang um Kopf und Körper, der lediglich das Gesicht frei lässt) zu tragen, der hier vorgeschrieben wäre. Ich kann dies verstehen und betrete diese Moschee ebenso nicht. Überhaupt führen wir einige Gespräche über das Thema Verschleiern. Für mich ist dies kein großer Umstand, lange Kleidung tut bei der Hitze eh gut und ob ich ein Kopftuch unterm Helm trage oder nicht, stört mich nicht. Für die Frauen hier ist das anders, es ist keine selbstgewählte, zeitweilige Kleidung sondern ein Zwang, der eindeutig einseitig die weibliche Hälfte der Gesellschaft betrifft. Ich treffe und rede mit vielen verschiedenen Frauen im Laufe meiner Reise, manche ohne, die meisten mit Kopftuch. Mache tragen es in der Wohnung, wenn Fotos gemacht werden oder „fremde“ Männer dabei sind, die meisten nicht. Manche tragen ständig den schwarzen Tschador, die meisten jedoch ein lockeren Schal. Erstaunlicherweise wirkt keine eingeschüchtert oder ängstlich. Fast schlecht wird mir, als ich sehe, dass an den Ständen für Tschadors die lange, dunkle Verschleierung auch in Kindergrößen verkauft wird. Ich erlebe einen großen Unterschied zwischen arm und reich, die Inflationsrate ist enorm (>70%), ich versuche zu helfen, wo es sich ergibt. Eingeschränkt durch die Regierung fühlen sich die allermeisten Menschen und geben dies auch offen zu. Sie sehnen sich nach Freiheit, viele fragen mich, ob ich ihnen helfen könne, in Deutschland Arbeit zu finden. Ich wünsche den Menschen im Iran von Herzen eine Zukunft in Frieden und Freiheit! Jin, Jiyan, Azadî! Woman, Life, Freedom! Zan, Zendegi, Āzādi!
Aufgrund des Wetters verschieben wir unseren Damavand-Gipfelversuch auf das kommende Wochenende. Minus 15 Grad und starker Wind sind in 5600 Metern Höhe kein Spaß mehr. Ich habe mich entschlossen in der Zeit mit dem Nachtbus nach Schiraz zu fahren. Der Iran ist so groß und spannend, dass ich hier noch viele Wochen mehr bleiben könnte. Doch auch wenn die zurzeit herrschende Hitze daran zweifeln lässt, naht der Winter und ich möchte vor der großen Kälte die hohen Berge des Pamir überwunden haben. Ali bringt mich zum Busbahnhof, der Fahrer bekommt etwas Extrageld für mein Fahrrad und los geht es durch die Nacht in den Süden!
5 Kommentare
Margrit Timmann
Anke, das große, weltweite Denken ist mit Blick zum Mond einfacher, kleiner und sicherer Mamagruß
Herbert Bastian
Hallo Anke,
schön, dass Du Dir noch die Zeit nimmst für diese ausführlichen, gerade zu süchtig machenden Informationen zu Land und Leuten. Besonders die Schilderungen der tollen Begegnungen berühren mich.
Herzlichen Dank.
Freue mich schon jetzt auf die Fortsetzungen.
Grüße
Herbert
Ufke
Moin moin mein Schwesterherz.
Auch wenn ich dich inzwischen schon länger gesund, unversehrt und mit unfassbar vielen neuen Eindrücken wieder zurück in Hannover weiß, ist es doch immer wieder schön deine Reise Etappe für Etappe in Erinnerung gerufen zu bekommen.
Ich bin schon echt gespannt irgendwann einen 72stündigen Dia-(Beamer-)Vortrag zu genießen oder aber einen dicken Schmöker von Reisebericht zu lesen.
Halte uns alle bitte weiterhin auf dem (wenn auch schon vergangenen) Laufenden.
Ufke
Georg Gehrenkemper
Wunderschöne Bilder und ein packender Bericht. Ich habe davon gerade einen akuten Fernwehanfall bekommen.
Vielen Dank, Anke. Ich freu mich auf die nächsten Fortsetzung.
Ich wünsche Dir immer genug Luft im Reifen.
Dein Georg
Erika Ellner
Liebe Anke,
einmal hat eine Iranerin zu uns Couchsurfern gesagt: kommt in mein unglaubliches Land.
Und so ist es. Du hast es gesehen und wir durften daran teilhaben. Danke 🤩
Ich freue mich schon auf den nächsten spannenden Bericht. Vor allem bin ich gespannt auf die Tour durchs Pamirgebirge.
Liebe Grüße von Erika